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Mittwoch, 23. Juli 2014

Prof. Georg May: Die andere Hierarchie - Teil 45: Zusammenfassung

Prof. Dr. Georg May

Die andere Hierarchie


Teil 45
Letzter Teil


Verlag Franz Schmitt Siegburg AD 1997


Ergebnisse (Fortsetzung von hier)


Die andere Hierarchie ist ein entscheidender Schritt auf dem Wege der Verwandlung der katholischen Kirche in eine (weitere) protestantische Gruppe. Das Rätesystem ist ein gewichtiger Faktor bei dem unerhörten Prozess der Selbstzerstörung der katholischen Kirche, eine gigantische Fehlkonstruktion mit Folgeschäden größten Ausmaßes, eine der schlimmsten Verirrungen der nachkonziliaren Kirche im Allgemeinen und der Deutschen Bischofskonferenz im Besonderen.

Die Umstülpung der Kirchenverfassung vollzieht sich unter dem Schlagwort der Demokratisierung. Die Führungsschwäche der Bischöfe ist es, die den kirchlichen Demokratismus ermuntert.

Die Demokratisierer wollen nicht etwa Autorität und Führung abschaffen. Sie wollen vielmehr die Verfassung der Kirche so ändern, dass die Herrschaft ihnen zufällt. An die Stelle der Hierarchie geweihter Hirten tritt die Phalanx demagogischer Rhetoren und Skribenten. Die Forderung nach Demokratie in der Kirche hat den Zweck, eine neue herrschende Klasse zu etablieren. Die Basisdemokratie ist nichts anderes  als eine Basisdiktatur. Niemand ist so bodenlos intolerant wie die Verfechter der Demokratisierung der Kirche. Wer sich ihnen entgegenstellt, wird ausgegrenzt.

Das Wesen der Demokratie ist der Relativismus. Das heißt: Es gibt keine absolute, von allen anerkannte und unumstößliche Wahrheit. In der Demokratie herrscht nicht die Wahrheit, sondern die Mehrheit. Was heute richtig erscheint, kann morgen als falsch verworfen werden. Demokratisierung der Kirche bedeutet daher die Etablierung der Beliebigkeit in Lehre, Ordnung und Gottesdienst der Kirche. Demokratisierung der Kirche ist das Ende jeder Gewissheit in Glaube, Sitten und Gottesdienst.

Die Demokratisierung der Kirche soll vor allem dazu dienen, unbequeme Normen der Sittlichkeit und des Rechtes zu beseitigen. Der gesamte pseudodemokratische Betrieb in der Kirche läuft darauf hinaus, das Kreuz Christi zu entschärfen. Das Christentum soll bequem und immer bequemer gemacht werden. Alles Anstrengende, beschwerliche und Lästige soll abgeworfen werden.

Gewiss ist das Ziel der Demokratisierer noch nicht erreicht. Aber auch jetzt schon haben sie Etappensiege errungen.
  • Im Zuge der Demokratisierung der Kirche werden die von Berufslaien gehaltenen Wortgottesdienste "aufgewertet" und betont neben die "Eucharistiefeier" gestellt.
  • Im Zuge der Demokratisierung der Kirche wird die Eucharistiefeier zu einer Mahl- und Gemeinschaftsfeier umfunktioniert.
  • Im Zuge der Demokratisierung der Kirche wird die Geminde an Stelle des Priesters zum Subjekt der Liturgie gemacht. Dem hauptamtlichen Laien werden ständig mehr liturgische Dienste übertragen.
  • Im Zuge dieser Demokratisierung des Gottesdienstes treten Pastoralreferenten bei dem Vorgang der Eucharistiefeier, den Altgläubige Wandlung nennen, zum Priester an den Altar (2).
  • Im Zuge der Demokratisierung teilen - im Widerspruch zur Ordnung der Kirche - Laien das aus, was wir früher Kommunion nannten, während der Priester sich auf seinen Sitz zurückzieht. So wird die heilige Messe zum "Mittel der Durchsetzungs- und Mitbestimmungsstrategien der Laien umfunktioniert" (3).
  • Die Kirche demokratisieren zu wollen heißt, sie dem Chaos ausliefern. "Welch ein Witz ist es doch, eine Erneuerung der Kirche von der Aufweichung der Maßstäbe von Gut und Böse, Wahrheit und Reinheit, Sünde und Gehorsam oder von feministischen geistlichen Herrschaftsansprüchen, Brechung von feierlichen Gelübden und 'demokratischer' Änderung der Wahlordnung für Bischöfe zu erwarten, anstatt von der radikalen inneren Reinigung und Gesinnungsänderung der einzelnen Laien und Priester" (4).

3.  Die unumgängliche Wende

Angesichts dieser Lage muss etwas geschehen. Die deutschen Bischöfe sind erstens an ihre unaufgebbare Position als Nachfolger der Apostel und Inhaber der dreifachen Gewalt zu lehren zu leiten und zu heiligen zu erinnern. Sie sind Glieder der einzigen gottgewollten Hierarchie und zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben mit Hirtengewalt ausgerüstet. Sie müssen diese Gewalt gebrauchen, wenn sie sich nicht vor Gott schuldig machen wollen.

Die deutschen Bischöfe sind weiter an ihre unverzichtbare Verantwortung für die Darbietung und Verteidigung des katholischen Glaubens zu erinnern. Sie dürfen weder über unbequeme Gegenstände dieses Galubens schweigen noch sie abschwächen. Sie müssen ihre Lehräußerungen am Lehramt des Stellvertreters Christi ausrichten. (...) Die falschen Lehren von Königstein und Würzburg müssen widerrufen werden. Der Glaube ist das Fundament der Kirche. Wenn er fällt, stürzt die Kirche.

Die deutschen Bischöfe sind sodann an ihre Pflicht, die Theologen wirksam zu beaufsichtigen, zu erinnern. Theologie ist Glaubenswissenschaft. katholische Theologie darf sich in keinem Punkt von der verbindlichen Lehre der Kirche entfernen. Dem Ausstoß glaubenszerstörender Literatur ist wirksam zu begegnen.

Theologen, die den Glauben der Kirche nicht teilen, sind aus ihren Positionen zu entfernen. Es muss endlich einmal damit Schluss gemacht werden, dass ein Kartell von hochbezahlten theologischen Funktionären das ganze katholische Volk in die Irre führt.

Die deutschen Bischöfe sind weiter an ihre unverzichtbare und unübertragbare Stellung und Verantwortung als Repräsentanten Christi zu erinnern. Ihre Repräsentationsfunktion verträgt keine Konkurrenz von parallelen Räten und Gremien, die im Namen der Kirche oder der katholischen Christen zu sprechen sich anmaßen.

Das Rätesystem ist eine gigantische Fehlplanung und eine fatale Verirrung; es hat zu verschwinden.

Es ist geradezu lächerlich, wenn die deutschen Bischöfe in ihrem Papier "Der pastorale Dienst in der Pfarrgemeinde" erklären, die Mitwirkung in den pastoralen Räten sei "ein unverzichtbares Element kirchlichen Lebens" (I,1,3). Das kirchliche Leben war im Vergleich zu heute blühend, als es diese Räte nicht gab. Der Ratlosigkeit der Bischöfe vermag das Rätesystem nicht abzuhelfen. Ich wiederhole darum:

Das Rätesystem muss ersatzlos abgeschafft werden, damit die Hirten ihre Freiheit, ihre Hauptesstellung in der Gemeinde und ihre Berufsfreudigkeit wieder erlangen können. Wenn das Priestertum leben soll, muss die von den deutschen Bischöfen aufgebaute Räteherrschaft sterben.

4.  Die Aufgabe der gläubigen Priester und Laien

Die Lage der Kirche ist ohne Zweifel ernst. Ihre Fundamente sind unterwühlt. Doch Gott hat seine Kirche nicht verlassen. Es sind in der Kirche hierarchische und charismatische Gaben vorhanden (Ad gentes Nr. 4).

Je mehr die Hierarchie göttlichen Rechtes versagt, um so mehr charismatische Laien hat Gott erweckt. So war es immer in der Kirchengeschichte. Im vorigen Jahrhundert hat sich der Sturm der Aufklärer, Protestantisierer und Demokratisierer an katholischen Laien gebrochen. Damals erklärten mehr als vierzig Ortschaften in Württemberg dem König, sie hätten lieber keinen Pfarrer als einen verheirateten. Es ist in unserer Zeit ähnlich.
  • Es gibt auch heute noch Priester, die zuverlässig katholisch sind und an die sich das gläubige Volk halten kann. Diese gläubigen und tugendhaften Priester sehnen sich nach charismatischen Laien. Es gibt sie. Ich denke an Männer wie Walter Hoeres und Robert Spaemann, ich erinnere an Frauen wie Christa Meves und die Gräfin Plettenberg.
  • Einen großen Teil der Arbeit, die von den Bischöfen getan werden müsste, aber nicht getan wird, leisten heute kleine Gruppen beherzter Laien. Ich denke etwa an die Vereinigungen zum Schutz der Liturgie. Sie haben das Wissen um Sinn und Würde des Gottesdienstes lebendig erhalten, als die Bischöfe beinahe alles in diesem Heiligtum der Kirche duldeten.
  • Ich erinnere an die Initiativkreise (Anm.: s. z. B.  hier und hier) Sie haben den Kampf um den Glauben aufgenommen, den angemessen zu führen die meisten Bischöfe nicht gewillt waren.
  • Ich denke an den Freundeskreis Maria Goretti. Diese mutigen Frauen haben mehr für die Erhaltung der Tugend der keuschheit und für den Kampf gegen die Unkeuschheit getan als die gesamte Deutsche Bischofskonferenz.
  • Ich verweise auf die Aktion "Leben". Sie hat das Bewusstsein für das, was katholische Christen dem ungeborenen Leben schuldig sind, wach erhalten.

In ihnen allen sehe ich den Geist Gottes am Werk, der seine Zeugen erweckt.

Immer hat eine wahre Erneuerung in kleinen Kreisen begonnen; ihr unbeirrbares Zeugnis konnte jedoch auf die dauer nicht übersehen werden. Die unter Tränen säen, werden einst mit Freude ernten. Der Herr, dem sie einsam, aber furchtlos gedient haben, wird einst zu ihnen sprechen: "Ihr seid es, die mit mir in meinen Anfechtungen ausgeharrt habt. Darum vermache ich euch das Reich, wie mein Vater es mir vermacht hat" (Lk 22,19).


(2)  Theologisches 22, 1992, 467
(3)  Walter Hoeres (Theologisches 22, 1992, 469)
(4)  Deutsche Tagespost Nr. 91 vom 1. August 1995 S. 9 (Siegfried Ernst)


Hiermit endet die Schrift "Die andere Hierarchie" von Prof. Dr. Georg May. Angefügt an die Ausführungen von Prof. May, die er als Vortrag am 03. 10.1997 auf der 7. Theologischen Tagung  der Zeitschrift "Theologisches" in Fulda gehalten hat, ist ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis, das hier nicht wiedergegeben wird.


Übersicht: Zu den Fortsetzungen Teil 1 - 45


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In "Kathpedia" ist über das Entstehen dieser Schrift von Georg May zu lesen:

Seit mehreren Jahrzehnten haben Einzelpersonen und Gruppen katholischer Christen, die voll auf dem Boden der kirchlichen Lehre stehen, auf eine Entwicklung hingewiesen, die sich in den Bistümern der katholischen Kirche in Deutschland vollzieht, nämlich auf die schleichende oder offene Entwertung des Priestertums, der priesterlichen Würde und der priesterlichen Vollmacht.

Am 3. Oktober 1997 hielt Professor Dr. Georg May im Rahmen der 7. Theologischen Tagung der Zeitschrift „Theologisches" in Fulda einen Vortrag, der dieses unheilvolle Geschehen zum Gegenstand hat. Er zeigte in den einzelnen Bereichen und auf den verschiedenen Ebenen die Entmachtung des Priestertums und die Wucherung des Rätesystems auf.

Es wurde deutlich, dass das Versagen der echten, gottgestifteten Hierarchie die Hauptursache für die Entstehung der anderen, entgegengesetzten Hierarchie ist. Der Widerspruch zwischen gottgewollter Kirchenverfassung und zeitgeistorientierter Umwälzung trat den Zuhörern plastisch vor Augen. Wenige Wochen später wurde er und die Veranstalter der Tagung von höchster kirchlicher Stelle bestätigt, durch die "Instruktion zu einigen Fragen über die Mitwirkung der Laien am Dienst der Priester." Diese Instruktion bestätigt die Ausführungen Georg Mays in entscheidenden Punkten.

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Der Vortrag von Prof. May am 03. 10.1997 ist auch auf Audio-Cassette (MC) erhältlich bei:
WETO Verlag Albrecht Weber:
Prof. Dr. Georg May: "Die andere Hierarchie"
9 Nr. 2-9728   (2 Cassetten)
8,50 Euro / 18,25 SFr
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Weiteres zum Thema:


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Dienstag, 22. Juli 2014

Prof. Georg May: Die andere Hierarchie - Teil 44: Bereitschaft zum Abfall / Ergebnisse

Prof. Dr. Georg May

Die andere Hierarchie


Teil 44


Verlag Franz Schmitt Siegburg AD 1997


Fortsetzung von hier

V.  Bereitschaft zum Abfall

Das Kirchenvolksbegehren ist eine kirchenfeindliche Aktion, der Beginn einer neuen Abfallwelle von unserer Kirche, einer Los-von-Rom-Bewegung; es läuft auf ein Schisma hinaus.

Küng hat völlig richtig festgestellt: "Die Zeit des Dialogs ist vorbei" (26). Förderer des Kirchenvolksbegehrens sprechen drohend aus, sie würden sich von der Kirche abwenden, "wenn sich... jetzt auch nichts tut" (27).

Das Kirchenvolksbegehren ist der Aufstand der Mittelmäßigkeit gegen den Ruf zur Nachfolge, die Empörung von Kaninchenseelen über die Einladung zur Heiligkeit, der Überdruss der Spießer angesichts der Aufforderung zur Selbstverleugnung. Wer sich hier meldet, ist nicht das Volk, sondern das ist die Clique der Ideologen und Demagogen, die unwissende, urteilsunfähige, verwirrte und verführte Christen vor ihren Wagen spannt. Die Initiatoren werden nicht vom Geist Christi, sondern vom Zeitgeist geführt. Sie haben den kirchlichen Sinn verloren. Es ist die hohe Zeit der falschen Propheten.

Ein Leser schrieb richtig: "Diese haben einen Vulkan angebohrt, der nicht zur Ruhe kommen wird" (28). Das Unternehmen drängt auf Institutionalisierung. Das Einzige, was ihm gegenüber Erfolg verspricht, ist stählerne Härte der Abwehr. Jeder Appell zu Einsicht und Umkehr prallt am harten Kern der Volksbegehrer wirkungslos ab. Die Einführung der Basisdemokratie in die katholische Kirche wäre ihr sicherer Untergang.


Ergebnisse

Wenn ich abschließend eine kurze Zusammenfassung meiner Gedanken geben darf, möchte ich Folgendes sagen:

1.  Die innerkirchliche Revolution

In unserer Kirche ist seit geraumer Zeit eine Revolution im Gange. Unter Revolution verstehe ich den Prozess des völligen Bruches mit dem religiös-sittlichen Werte-system, dem überkommenen Glauben und der kirchlichen Organisationsstruktur. In diesem Sinne befindet sich die Kirche in einem revolutionären Zustand.

"Revolution ist ein Anzeichen schwerer politischer Erkrankung, und leider steckt sie an" (Duff Cooper). "Revolutionäre kommen meist nur zum Zuge, wo die bestehenden Mächte nicht mehr willens und fähig sind, ihren Platz zu behaupten" (Tschirschky). Eben dies ist in der Kirche der Fall gewesen.

Das Kollegium der Bischöfe und der Klerus haben sich durch die progressistische Theologie zu zahlreichen überflüssigen, sinnlosen oder gefährlichen Änderungen bestimmen lassen; sie reichen vom Gottesdienst bis zum Ämtersystem. Es hat ihnen völlig an Voraussicht gefehlt, dass sie mit ihren Pseudoreformen eine Lawine lostreten würden.

"Der Staatsmann muss die Dinge rechtzeitig herannahen sehen und sich darauf einrichten. Versäumt er das, so kommt er mit seinen Maßregeln meist zu spät" (Bismarck). Die Bischöfe meinten, angeblich berechtigten Wünschen und Beschwerden entgegenkommen zu sollen und dadurch weitergehenden Forderungen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Sie haben sich getäuscht.

"Es gehört zum Wesen der politischen Konzessionen, dass sie immer zu spät kommen" (Stefan Zweig). "Die Revolution ist ein Naturelement wie das Meer, nicht mit einem Sprung bricht solche Sturmflut ins Land, sondern nach jedem erbitterten Stoß läuft die Welle zurück, scheinbar erschöpft, in Wirklichkeit aber nur, um neu und zu vernichtenderem Anschwung auszuholen" (Stefan Zweig).

Die Revolution setzt auf die öffentliche Meinung. Sie sucht diese durch unaufhörliche Bearbeitung für sich zu gewinnen. "Ohne Reden wäre es nie zur Revolution gekommen" (Aubry). "Wer Revolution sagt, sagt notwendig auch Propaganda" (Aubry). Auf diese Propaganda verstehen sich die Träger der innerkirchlichen Revolution meisterhaft. Sie beherrschen die wichtigsten Verlage und die meisten theologischen Zeitschriften, sie kommen in den elektronischen Medien fast ausschließlich zu Wort.

Von den revolutionären Zuckungen sind Glaubens- und Sittenlehre, Gottesdienst und Ordnung in gleicher Weise ergriffen. Die Revolution zielt auf Umwandlung der katholischen Kirche in eine weitere protestantische Denomination.

Der Prozess der Protestantisierung ist auf allen Gebieten schon weit fortgeschritten. Die Fundamente, auf denen die Kirche ruht, sind unterwühlt. Vorläufig stehen noch die Fassaden. Aber ihr Kern ist aufs Höchste gefährdet oder bedenklich angekränkelt. Der Aufbau einer anderen, einer Gegenkirche ist weit vorangeschritten. Man muss endlich der Tatsache ins Auge sehen: "Es gibt eine neue Kirche, und es ist nicht die alte in neuem Gewand" (1).

Den Mitgliedern der Hierarchie sei noch einmal, zum letzten Mal gesagt: "Jede Revolution ist eine vorwärtsrollende Kugel" (Stefan Zweig). "Die Revolution will vorwärts, sie muss vorwärts, wenn sie nicht versanden soll, den Revolution ist flutende Bewegung. Stehen bleiben wäre für sie Verhängnis, Rücklauf ihr Ende, sie muss verlangen, immer mehr verlangen, um sich zu behaupten, sie muss erobern um nicht besiegt zu werden" (Stefan Zweig).

Eine Revolution lässt sich nicht beschwichtigen. Nachgiebigkeit und Zurückweichen schwächen ihre Forderungen nicht ab, sondern stärken nur ihre Selbstsicherheit. Man kann Revolutionen gewaltsam unterdrücken, aber man kann sie niemals mit diplomatischen Kunstgriffen oder Ködern irre machen. Die Bischöfe mögen sich daran erinnern: "In Revolutionen bleibt zuletzt den Ruchlosesten die Autorität" (Aubry).

2.  Die Umstülpung der Kirchenverfassung

Besonders sichtbar und folgenreich ist die bereits geschehene und weiterschreitende revolutionäre Veränderung der Kirche in der Umstülpung der Kirchenverfassung. Neben der von Christus eingesetzten Hierarchie hat sich eine andere Hierarchie etabliert.

Diese neue Klasse ist vielgestaltig. Zu ihr zählen einmal die Gruppierungen und Kartelle von Theologen, die ein Neben- und Ersatzlehramt in Anspruch nehmen und das genuine Lehramt faktisch und effektiv in den Hintergrund gedrängt haben. Die Wirkung ihrer Tätigkeit ist offenbar. Im christlichen Volk ist nicht mehr die katholische Glaubenslehre herrschend, sondern das, was das Ersatzlehramt davon übriggelassen hat.

Es ist heute so weit gekommen, dass die unverfälschte Botschaft der Kirche selbst bei praktizierenden Katholiken auf erbitterten Widerstand stößt. Das Ersatzlehramt konnte nur deswegen eine derartige Position erringen, weil das Lehramt in gigantischer Weise versagt hat. Statt seine Hirtengewalt zu gebrauchen, hat es zugesehen, wie die Wölfe in den Schafstall einbrachen.

Zu der anderen Hierarchie zählen sodann die zahllosen Gremien, Räte, und Versammlungen, die von der Ebene der Pfarrei bis zum Heiligen Stuhl reichen. Sie verstehen sich als Repräsentativorgane des jeweiligen Teils des Volkes Gottes und treten in solcher Eigenschaft neben die geweihten Hirten.

Auf diese Weise entsteht eine Art Doppelherrschaft mit all den Unzuträglichkeiten, die mit einer solchen verknüpft sind. In den Räten, Gremien und Versammlungen nehmen oft Unbefugte und Verbildete zu den Lebensfragen der Kirche Stellung und untergraben Lehre und Ordnung der Kirche in gleicher Weise. Wenn  die geweihten Hirten ihren Vorgaben nicht folgen, sind sie empört und lassen Drohungen vernehmen, gehen an die Öffentlichkeit und mobilisieren die Massenmedien.

Typisch für die andere Hierarchie ist: Sie will nicht unterstützen, sondern herrschen. Ihr ist es nicht um Dienst zu tun, sondern um Macht. Am Horizont zeichnet sich die Gefahr einer gremialen Diktatur ab. Die Rätekirche ist jedenfalls in Deutschland eine Tatsache. Die kirchliche Hieararchie droht von der anderen Hierarchie übermächtigt zu werden. Das Rätesystem als Ganzes ist ein Anschlag auf die Hierarchie göttlichen Rechtes in der katholischen Kirche. Hier geschieht nicht mehr und nicht weniger als ein Umsturz der Kirchenverfassung auf kaltem Wege.



(26)  Deutsche Tagespost Nr. 123 vom 14. Oktober 1995 S. 3
(27)  Allgemeine Zeitung vom 14. November 1995 S. 9
(28)  Deutsche Tagespost Nr. 152 vom 21. Dezember 1995 S. 9
Ergebnisse:
( 1)  Theologisches 25, 1995, 256


Schluss folgt 



Übersicht: Zu den bisher erschienenen Fortsetzungen


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Einige Früchte aus dem Geist des Kirchenvolksbegehrens:


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Weiteres zum Thema "Kirchenvolksbegehren von 1995":


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Prof. Georg May: Die andere Hierarchie - Teil 43: Das Verhalten der Bischöfe zur Veröffentlichung des Kirchenvolksbegehrens von 1995

Prof. Dr. Georg May

Die andere Hierarchie


Teil 43


Verlag Franz Schmitt Siegburg AD 1997


Fortsetzung von hier
 
III.   Das Verhalten der Bischöfe

Das Kirchenvolksbegehren ist die Quittung für das Versagen der allermeisten Bischöfe. Sie haben zu ihrem Teil durch ihr Tun oder Unterlassen dem Volksbegehren den Weg bereitet. Ihr Widerstand gegen die kirchliche Sexuallehre und ihre Infragestellung des Zölibates sind nur zwei Beispiele ihres Versagens.

Wegen dieser Einstellung verhielten sich die meisten Bischöfe zweideutig oder gar konnivent gegenüber dem Unternehmen. Angeblich äußerten mehrere Diözesanbischöfe, sie könnten das Begehren unterschreiben (13). Der Mainzer Hilfsbischof Eisenbach "äußerte Verständnis für mehrere Punkte des Begehrens" (14). Es wäre aufschlussreich, zu erfahren, wie viele und welche Bischöfe sich mit einzelnen Punkten oder mit der Gesamtheit des  Programms der Volksbegehrer identifizieren.

Die Matadore des Kirchenvolksbegehrens haben eine Strategie, d. h. einen Plan, die einzelnen Aktionen für den gesamten Zweck ihres Vorgehens zu gebrauchen. Die deutschen Bischöfe haben keine Strategie; denn die Entschlossenheit, sich wie das Kaninchen vor der Schlange zu verhalten, ist keine Strategie. Die Initiatoren wussten: Wenn die Bischögfe vor etwas Respekt haben,  dann sind es Zahlen. Sie haben sich nicht verrechnet.

Die deutschen Bischöfe waren nicht imstande, sich auf ein gemeinsames Vorgehen gegen das Kirchenvolksbegehren zu einigen. Vor allem der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Lehmann, war unfähig oder unwillig, den Kirchenvolksbegehrern die Antwort zu geben, die von Glaube und Ordnung der Kirche gefordert ist. Sein ständiges Lavieren und Taktieren ermutigte die Gegner.

Lehmann empfing die Initiatoren des Kirchenvolksbegehrens zu einem Gespräch; die Atmosphäre war "angenehm und freundlich", wie seine Pressestelle bekannt gab. Lehmann teilte den Besuchern mit, er habe den Papst über die Unterschriftensammlung unterrrichtet (15). Er sorgte sich also für das Bekanntwerden der Aktion an höchster Stelle. In welcher Absicht geschah dies? Suchte er Unterstützung für eigene Pläne? Lehmann sah in dem Kirchenvolksbegehren "einzelne sehr positive Elemente" (16). Seine Bemerkung bei der Übergabe des Ergenbisses des Volksbegehrens, es habe sich "ein Informations- und Gesprächsbedarf" gezeigt (17), beweist, dass er den Sinn der ganzen Aktion nicht begriffen hat oder nicht begreifen will.

Es geht nicht darum, durch Gespräche Informationen zu erlangen, um etwas besser verstehen zu lernen, sondern es soll auf den Partner so lange eingeredet werden, bis er, ermüdet, die Position der Volksbegehrer übernimmt. Der hier geforderte Dialog besagt nicht das sachliche Gespräch über strittige Gegenstände, sondern Durchsetzung  der eigenen verqueren Ansichten.

Lehmann stellte den Unterzeichnern sogar einen Freibrief aus, indem er das Begehren als "weder ehrenrührig noch sanktionsbedürftig" bezeichnete; kirchliche Mitarbeiter, die ihre Unterschrift leisteten, brauchten keine Angst zu haben,  sie könnten disziplinarisch belangt werden (18). Für Lehmann ist der Aufstand  gegen die Kirche offenbar eine Bagatelle. Wenn er formulierte, viele sähen in dem Kirchenvolksbegehren eine Möglichkeit, "ihre Sorge über die Lage der Kirche zum Ausdruck zu bringen" (19), so war dies eine total verharmlosende Äußerung. Denn nicht Sorge über die Lage der Kirche war das Motiv des Unternehmens, sondern die Absicht, eine andere Kirche an die Stelle der katholischen Kirche zu setzen. Völlig unbegreiflich ist, wenn Lehmann das Kirchenvolksbegehren mit Freiheit der Meinungsbildung in Verbindung brachte (20). Hier wurde doch nicht um Unterrichtung oder gar um Wahrheit gerungen, sondern hier gingen Ideologen aggressiv gegen Lehre und Ordnung der Kirche vor.

Benachbarte Bischöfe verhielten sich wenig anders als Bischof Lehmann. Der Limburger Bischof Kamphaus überließ den Pfarrgemeinderäten die Entscheidung, ob das Kirchenvolksbegehren in kirchlichen Räumen vorbereitet und durchgeführt wird (21). Er unterstützte also den Aufstand gegen die Kirche durch Bereitstellung kirchlicher Gebäude.

Gläubige Christen waren empört über das laue Verhalten der Bischöfe und suchten ihnen ins Gewissen zu reden. Ein Laie bemerkte: "Das Projekt des Kirchevolksbegehrens geht in die falsche Richtung, und es ist Sache der Bischöfe, das den Gläubigen mit aller Klarheit zu sagen und sie aufzurufen zur Umkehr von dem Weg der bürgerlichen Anpassung und Gleichschaltung" (22). Doie Bischöfe dachten nicht daran, zur Umkehr aufzurufen. Robert Spaemann rief den Bischöfen zu: Ihr Hirten erwacht! Sein Zuruf ist ungehört verhallt. Die Hirten erwachen nicht, sie schlafen weiter den Tiefschlaf derer, die entschlossen sind, sich durch niemanden zu Aktion und Reaktion aufrufen zu lassen.


IV.  Der Nutzen des Begehrens

Dennoch hatte das Kirchenvolksbegehren einen Nutzen. Seine einzige positive Bedeutung liegt darin, dass es dem, der sehen will, das Ausmaß der innerkirchlichen Zerrüttung offenbar macht. Es ist richtig bemerkt worden, dass das Kirchenvolksbegehren denen, die es bisher nicht bemerkt haben, zeigt, "wie weit die Entchristlichung der Gesellschaft... schon fortgeschritten ist" (23).

1.  Katholiken

Weder das äußere Erscheinungsbild noch die innere Wirklichkeit der Kirche bildet noch eine Einheit. Die Glieder der Kirche sind sich weder im Lehrglauben noch in der Sittenlehre mehr einig. Ich stimme der Einschätzung Küngs zu, dass der "allergrößte Teil" der deutschen Katholiken hinter den Forderungen des Kirchenvolksbegehrens stünden (24). Nur ist die Bemerkung dahin zu ergänzen, dass der  "allergrößte Teil" der deutschen Katholiken noch viel weitergehende Wünsche hat. Er würde auch zustimmen, wenn die katholische Eucharistielehre zugunsten der zwinglianischen aufgegeben würde.

Niemand täusche sich. Wenn Zölibat, katholische Sexualmoral und Unauflöslichkeit der Ehe fielen, kehrte nicht etwa Ruhe in der Kirche ein. Dann würden andere Gegenstände von Lehre und Ordnung der Kirche in Frage gestellt, etwa die metaphysische Gottessohnschaft Jesu und der dreieinige Gott. Der Bazillus des Demokratismus hat weiteste Teile des katholischen Volkes erfasst. Er besteht, kurz gesagt, darin, dass die Mehrheit Recht habe und dass die Mehrheit über alles zu bestimmen befugt sei.

Legen Sie einmal der Masse der Menschen zwei sittliche Anschauungen über ein und denselben Gegenstand gleichsam zur Auswahl vor. Sie können sicher sein, dass die überwältigende Mehrheit sich für jene Auffassung entscheidet, die sie für bequemer und leichter empfindet. 

Mich wundert nicht, dass Hunderttausende, vielleicht Millionen hinter den Forderungen des Kirchenvolksbegehrens stehen, sondern dass es überhaupt noch katholische Männer und Frauen gibt, die dem Sog des Progressismus und des Modernismus, der von den Bischöfen gefördert oder geduldet worden ist, nicht erlegen sind.

2.  Priester

Das Kirchevolksbegehren zeigt auch dem, der es noch nicht wusste, wie es in der deutschen Priesterschaft aussieht. Eine hohe Zahl von Priestern hat das Unternehmen aktiv und mit voller Kraft unterstützt. Priester, die Bedenken gegen Inhalt und Form der Aktion hatten, bekamen Schwierigkeiten mit ihrem Pfarrgemeinderat und gaben schließlich nach. An zahlreichen Orten wurden kirchliche Dienste und Räume für die spalterische Kampagne bereitgestellt. In Gottesdiensten und Gottesdiensträumen wurde dafür Propaganda gemacht.

3.  Massenmedien

Selbstverständlich stimmten die grundsätzlich kirchenfeindlichen Massenmedien dem Kirchenvolksbegehren zu. Auf eine solche Aktion hatten sie geradezu gewartet. Der "Spiegel" konnte das Programm der Kirchevolksbegehrer bereits angeben, bevor es aufgestellt war (25). Der Erfolg des Kirchenvolksbegehrens spricht nicht für die Qualität seines Inhalts, sondern offenbart die Reichweite des Einflusses der Massenmedien. Das Kirchenvolksbegehren zeigt, wer die Macht in Kirche und Gesellschaft hat; es ist nicht die Hierarchie, sondern es sind die Massenmedien.


(13)  FAZ Nr. 216 vom 16. September 1995 S. 5
(14)  Glaube und Leben vom 19. November 1995 S. 2
(15)  Glaube und Leben Nr. 50 vom 10. Dezember 1995 S. 3
(16)  Deutsche Tagespost Nr. 106 vom 5. September 1995
(17)  Deutsche Tagespost vom 5. Dezember 1995 S. 4
(18)  Allgemeine Zeitung vom 15. September 1995 S. 13 und vom 12. Oktober 1995 S 14
(19)  Deutsche Tagespost vom 21. November 1995 S. 4
(20)  Deutsche Tagespostvom 4. November 1995 S. 4
(21)  Wiesbadener Kurier vom 7. September 1995
(22)  Rheinischer Merkur Nr. 46 vom 17. November 1995 S. 26
(23)  Deutsche Tagespost Nr. Nr. 150 vom 16. Dezember 1995 S. 15
(24)  Allgemeine Zeitung vom 14. November 1995 S. 2
(25)  Deutsche Tagespost Nr 123 vom 14. Oktober 1995 S.3


Fortsetzung folgt

Übersicht: Zu den bisher erschienenen Fortsetzungen 

Montag, 21. Juli 2014

Prof. Georg May: Die andere Hierarchie - Teil 42: Das Kirchenvolksbegehren von 1995

Prof. Dr. Georg May

Die andere Hierarchie


Teil 42


Verlag Franz Schmitt Siegburg AD 1997


Fortsetzung von hier

§  14  Das sogenannte Kirchenvolksbegehren

Neben den von den Bischöfen eingeführten demokratischen Strukturen gibt es die Basisdemokratie, die sich von den Bischöfen emanzipiert hat. Sie wird von progressistischen Theologen gesteuert und hat ihren vorläufigen Höhepunkt in dem sogenannten "Kirchenvolksbegehren" (Anm.: von 1995) (1) gefunden.

I.  Inhalt und Beurteilung

1.  Inhalt

Der Inhalt des Volksbegehrens ist "eine bewusst unklar gehaltene demagogische Mischung aus Selbstverständlichkeiten, Zweideutigkeiten und einigen Forderungen, die mit dem katholischen Glauben schlicht unvereinbar sind" (2). Manche Äußerungen, die in dem Kirchenvolksbegehren enthalten sind, lassen sich richtig verstehen; aber im Mund der Initiatoren und Propagandisten des Volksbegehrens sind sie mit Sicherheit falsch gemeint. Die aufgeworfenen Fragen sind längst erschöpfend und schlüssig beantwortet, aber den Initiatoren passt die Antwort nicht. Deswegen treten sie an zum Umsturz des Gefüges Kirche.

a) Glaube

Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Initiatoren den katholischen Glauben in wesentlichen Punkten zerstören wollen. Wer Erbsünde, Gericht und Verdammnis aus dem katholischen Bekenntnis streichen will (3), der hat sich vom katholischen Glauben verabschiedet. Wenn die Kirche alles das abschaffen wollte, was heute angeblich oder wirklich nicht mehr verstanden wird, bliebe vom Christentum nicht mehr viel übrig.

"Die Forderungen des Kirchenvolksbegehrens sind nichts anderes als die Symptome einer Glaubenskrise" (4). Leo Scheffczyk hat zu dem Kirchenvolksbegehren festgestellt, "dass es sich hier um eine totale Verkehrung des katholischen Glaubens handelt und um eine Zuspitzung der jahrzehntelangen Glaubenskrise, die nun zu einer nicht mehr zu leugnenden inneren Spaltung der Kirche dieses Landes geführt hat" (5). Kurt Krenn schrieb richtig: "Es steht die Unversehrtheit des Glaubens und die Identität der römisch-katholischen Kirche auf dem Spiel" (6).

b)  Sittlichkeit

Das Kirchenvolksbegehren steht im Dienst der Entschärfung der Botschaft Jesu Christi, es ist ein Unternehmen zur Herstellung größtmöglicher Bequemlichkeiten auf Erden. Sein Ziel ist der Abbau alles Beschwerlichen im Glaubensbekenntnis, in der Sittenlehre und in der Disziplin der Kirche. Was die Masse der Menschen begehrt, weiß man, bevor sie ihr Begehren äußern.

Die Kirchenvolksbegehrer wollen es den Katholiken abnehmen, sich als Katholiken behaupten zu müssen. Wer Warnungen und Hinweise auf die bevorstehenden Übel als Drohungen auffasst, der mag dies tun. Nur richtet sich dann sein Vorwurf gegen den Begründer der christlichen Religion.

Den Kirchenvolksbegehrern ist der Gott des Christentums verlorengegangen. Sie haben sich einen Gott nach ihrem eigenen Bilde geschaffen. Das Kirchenvolksbegehren ist eine Neuauflage des Abfalls der Israeliten von Jahwe und der Zuwendung zum goldenen Kalb.

Hinter dem Schlagwort von der "positiven Bewertung der Sexualität" steht der sexuelle Libertinismus, verbirgt sich nach Robert Spaemann "weltfremde Häresie" (7). Nicht die kirchliche Verkündigung ist auf die Sexualmoral fixiert, sondern die Phalanx ihrer Gegner. "Wenn die Autoren die eindeutige und exklusive Hinordnung der menschlichen Sexualität auf die Ehe im Christentum als einen zu hohen Anspruch ablehnen, dann sollen sie das sagen" (8).

Die Propagierung naturwidriger Empfängnisverhütung, vor- oder außerehelichen Geschlechtsverkehrs und homosexueller Betätigung ist nicht positive Bewertung der Sexualität, sondern Verkehrung der Schöpfungsordnung.

c)  Kirchenverfassung

Das Kirchenvolksbegehren ist der organisierte Aufstand gegen Glauben und Verfassung der Kirche. Die Forderung, die angeblich bestehende "Kluft" zwischen Klerus und Laien zu beseitigen, kann wohl nur dahin verstanden werden, die Struktur der Kirche zu zerstören. Denn in dieser Kirche liegt nun einmal die Leitung beim Klerus.

Mit der "Überwindung der Kluft zwischen Klerus und Laien" ist nicht weniger angezielt als die Eliminierung des sakramental-hierarchischen Priestertums, das nach dem letzten Konzil "dem Wesen nach" vom allgemeinen Priestertum verschieden ist (Lumen gentium Nr. 10).

Wer nicht mehr weiß, was eine sakramentale Weihe ist, vermag allerdings keinen Unterschied zwischen Geweihten und Nichtgeweihten zu erkennen. Hinter dem Begriff der "geschwisterlichen" Kirche verbirgt sich die Attacke auf das Amt göttlichen Rechtes. Übrigens steht die Macht der Räte zu der geschwisterlichen" Kirche, die sich durch herrschaftsfreie Beziehungen auszeichnen soll, im Widerspruch. Wenn es nur noch Gleiche gibt, dann können nicht die Mitglieder des Pfarrgemeinderates Bestimmungen über andere treffen.


II.  Die Wurzeln des Begehrens

1.  Die progressistischen Theologen

Das Kirchenvolksbegehren ist nicht dem gläubigen Volk entsprossen. Hinter ihm stehen vielmehr Theologen, die Falsches lehren.

Das Kirchenvolksbegehren ist der vorläufige Höhepunkt der seit Jahrzehnten ungestörten Wirksamkeit der progressistischen und modernistischen Theologen; die Aktion ist ihr Werk. Die beiden Initiatoren des Kirchenvolksbegehrens in Österreich und Deutschland, Thomas Plankensteiner und Christian Weisner, wurde nicht umsonst der Preis des abgefallenen Theologen Herbert Haag verliehen (9). Die Initiatoren sind verführte Verführer. Zahlreiche Theologen haben ihnen Beifall gespendet und die Menschen zur Unterstützung aufgerufen.

Die Theologen Fuchs, Mette, Greinacher und Steinkamp begrüßten die Zustimmung zu dem Kirchenvolksbegehren und sahen darin eine Parallele zu dem Aufstand gegen das Regime in der DDR (10). Wer die Namen Küng, Drewermann, Greinacher, Zulehner, Eicher und Mette als Befürworter liest, weiß, wohin die Reise geht. "Die alten Geister des Modernismus" (11) kehren zurück und wollen sich durchsetzen.

Bei diesem Begehren wird aus dem Volke heraus gefragt, was die progressistischen und modernistischen Theologen seit Jahrzehnten pausenlos und ohne die Behinderung durch die Bischöfe in das Volk hineingerufen haben, was sogenannte katholische Verlage seit Jahrzehnten an Publikationen in das Volk geworfen haben, die den Glauben zersetzen, die Sittenordnung zerstören und das Recht der Kirche entnerven, was aus sogenannten Katholischen Akademien und sogenannten katholischen Bildungsanstalten an Verführung in das katholische Volk geträufelt worden ist.

2.  Protestantismus

Alle Feinde und Gegner der Kirche stimmten dem Volksbegehren zu. Der "Spiegel" witterte Morgenluft. Die Altkatholiken boten sich offen an als Heimstätte für unzufriedene Katholiken. Selbstverständlich wurde das Kirchenvolksbegehren von protestantischer Seite begrüßt (12). Das ist begreiflich. Denn das Unternehmen nährt sich zur Gänze aus protestantischen Vorstellungen und führt zu protestantischen Verhältnissen; es besorgt die Geschäfte des Protestantismus.

Alle Punkte des sogenannten Volksbegehrens tendieren zum Protestantismus. Die sogenannten Reformer haben keinen einzigen selbständigen Gedanken hervorgebracht; alle ihre Aufstellungen sind Anleihen beim Protestantismus. Nicht zuletzt der massiv betriebene Ökumenismus hat das katholische Volk anfällig gemacht für die Forderungen des Kirchenvolksbegehrens.


( 1)  Aus der beträchtlichen Literatur erwähne ich "Wir sind Kirche". Das Kirchenvolks-Begehren in der Diskussion; Freiburg i. Br. 1995
( 2)  Rheinischer Merkur Nr. 46 vom 17. November 1995 S. 26
( 3)  Deutsche Tagespost Nr. 4 vom 9. Januar 1996 S. 9
( 4)  Deutsche Tagespost Nr. 153 vom 23. Dezember 1995 S. 9
( 5)  Plettenberg, Die Saat geht auf 223
( 6)  Der Fels 27, 1996, 57
( 7)  Rheinischer Merkur Nr. 46 vom 17. November 1995 S. 26
( 8)  Rheinischer Merkur Nr. 46 vom 17. November 1995 S. 26
( 9)  Der Fels 27, 1996, 56
(10)  Fuchs u. a., Das Neue wächst 163-165
(11)  Deutsche Tagespost Nr. 153/4 vom 23. Dezember 1995 S.4
(12)  Materialdienst 146, 1995, 105f


Fortsetzung folgt


Übersicht: Zu den bisher erschienenen Fortsetzungen


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Einige Früchte aus dem Geist des Kirchenvolksbegehrens:

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Weiteres zum Thema "Kirchenvolksbegehren von 1995":

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Dienstag, 1. Juli 2014

Prof. Georg May: Die andere Hierarchie - Teil 41: Der Grundirrtum und die einzelnen Mängel des Rätesystems in der Kirche

Prof. Dr. Georg May

Die andere Hierarchie


Teil 41


Verlag Franz Schmitt Siegburg AD 1997


Fortsetzung von hier

III.  Der Grundirrtum und die einzelnen Mängel

1.  Der Grundirrtum

Der Grundirrtum der Rätestruktur besteht in Folgendem: Die Räte verletzen die unersetzbare Stellung und die unübertragbare Verantwortung der geweihten Hirten. Nur wer die im Weihesakrament vermittelte besondere personale Prägung besitzt, vermag in dem hierarchisch strukturierten Gottesvolk in der Rolle des Hauptes zu stehen, Beschlüsse zu fassen und Weisungen zu erteilen.

Es ist irrig, dem Bischof lediglich die Letztverantwortung zuzugestehen. Als Vorsteher seiner Diözese ist er deren Haupt und trägt die Erst- und Hauptverantwortung. Es ist ebenso irrig, dem Priester allein die Letztverantwortung zuzusprechen. Der Priester ist das Haupt seiner Gemeinde und hat die entscheidende Verantwortung.

Wenn man Gremien schafft, dann gebührt dem zuständigen Hirten in allen der Vorsitz. Die dem neuen Gottesvolk eigene hierarchische Struktur fordert zwingend, dass Räte Beschlüsse in Angelegenheiten des amtlichen Pflichtenkreises der geweihten Hirten nur mit deren Zustimmung fassen können.

Die geistlichen Hirten Mehrheitsentscheidungen von Räten zu unterwerfen, heißt die Kirchenverfassung umstülpen. Der geweihte Hirt und er allein vertritt seine Gemeinde. Wenn er sich bei dieser Vertretung der Zustimmung eines Gremiums versichert, wird seiner Vertretungsmacht nichts Wesentliches hinzugefügt; wenn diese Zustimmung fehlt, wird ihr nichts genommen. Dagegen ist eine Vertretungsbefugnis des Gemeinderates, die nicht von der Hauptstellung des Pfarrers getragen und gedeckt ist, unmöglich.

2.  Die einzelnen Mängel

a) Die Auswahl der Personen

Ich kann und will nicht über die Mitglieder in der Kirche den Stab brechen. Unter ihnen befinden sich zweifellos viele gutwillige, wohlmeinende Personen, welche die Intention haben, der Kirche einen Dienst zu leisten. Doch ein falsches Modell wird durch die gute Absicht von Personen, die in dieses eingefügt sind, nicht richtig.

Außerdem sind es häufig nicht die bewährten und frommen Christen, die in den Räten den Ton angeben. Vielmehr sammeln sich in ihnen nicht selten die Elemente, die auf Anpassung an die aus den Fugen geratene Welt spezialisiert sind. Sie stehen unter dem Einfluß der progressistischen Theologie, die an dem seit 35 (Anm.: nunmehr etwa 52 Jahren) anhaltenden unaufhaltsamen Niedergang der Kirche größte Schuld trägt, und machen sich zu Vollstreckungsgehilfen von deren verwirrten Ansichten.

Den allermeisten Mitgliedern der Räte fehlt es sodann an den fachlichen Voraussetzungen zur Beratung und Entscheidung der anstehenden Fragen. Reden sollte nur, wer etwas zu sagen hat. Mitreden kann nur, wer mitzudenken vermag. In den Räten darf jeder sprechen, der eine Stimme hat. 

Jeder Betrieb, der im Wettbewerb überleben will, benötigt zu seiner Leitung hochqualifizierte Fachleute. In den Räten aber wirkt jedes Mitglied auch ohne Nachweis von Kompetenz an Entscheidungen über schwierigste Fragen von Lehre und Ordnung der Kirche mit. So ist es dahin gekommen, dass die Unreife und die Unzuständigkeit in der Kirche das große Wort führen.

Dazu kommt, dass die religiösen und sittlichen Voraussetzungen der Ratsmitglieder in der Regel nicht hoch angesetzt sind. Zum Beispiel fehlen Väter und Mütter, die sich durch gute Erziehung einer kinderreichen Familie qualifiziert haben und eine vorbildliche christliche Haltung an den Tag legen, fast immer. Um so mehr sind Leute anzutreffen, die eine Schlagseite zum Protestantismus haben. Es ist sogar "die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, dass die Gläubigen mehr oder weniger von solchen vertreten werden, die nur dem Schein nach katholisch sind" (10). In der Regel steht das Maß ihrer Kritik in umgekehrtem Verhältnis zu ihrem apostolischen Zeugnis.

b) Die Rederei

In allen Räten, Gremien und Versammlungen wird geredet und debattiert. Die andere Hierarchie ist eine Stufung von Rednern, nicht eine Gliederung von Zeugen. Die meisten Gremien planen Seelsorge, aber betreiben sie nicht. Rederei, Geschwätz und Schaumschlägerei sind kein christliches Zeugnis. 

Es war der Grundsatz Pius' XI.: Wenig reden, viel tun (Parlare poco e fare molto). In dem Maße, in dem das Priestertum herabgedrückt wurde, hat man die neue Klasse der Plauderer emporgehoben. Der Prinz Eugen pflegte zu sagen, dass, wenn ein General keine Lust habe, etwas zu unternehmen, es dafür kein besseres Mittel gebe, als einen Kriegsrat zu halten. "Ein Ausschuss ist eine Gruppe Unvorbereiteter, die von den Unwilligen ernannt werden, damit sie das Unnötige tun" (Frederich L. Allen).

c) Fehlen von Autorität und Verantwortung

Vor allem aber fehlt es den Mitgliedern der Gremien an Autorität und an der Verantwortung. Autorität ist die legitime Macht einer Person oder einer Gruppe, der andere Gehorsam und Unterordnung schulden. Die Gremien der anderen Hierarchie gehören nicht zu der Hierarchie göttlichen Rechtes, die nach dem Willen Christi die Kirche zu leiten hat. Ihre Beschlüsse sind daher von keiner Rechtsmacht getragen und unverbindlich.

Verantwortung besagt die Verpflichtung, in einem Bereich, der einem übertragen ist, das Gute und Rechte zu fördern und das Schlimme und Unrechte zu beseitigen. Verantwortung besagt auch, dass man für Erfolg oder Misserfolg haftbar ist. Wer Verantwortung für etwas hat, muss für seine Handlungen und Versäumnisse und deren Folgen einstehen.

Es ist viel davon die Rede, dass in den Räten Verantwortung ausgeübt werde. Wann und wo ist jemals ein Rat wegen seiner Tätigkeit oder Untätigkeit regresspflichtig gemacht worden? Verantwortung besagt, dass man sich vor einer Instanz rechtfertigen muss. Vor wem haben die Mitglieder der Räte sich jemals rechtfertigen müssen? In einem Gremium, in dem die Mehrheit entscheidet, besteht keine Möglichkeit, jemanden zur Rechenschaft zu ziehen. Seine Mitglieder handeln nach dem Grundsatz: Wenn alle irren, kann niemandem ein Vorwurf gemacht werden.

d) Anmaßung

Die Räte könnten und sollten die Sache Gottes in der Welt betreiben. Sie könnten und sollten der Stimme des Glaubens in der Gesellschaft Gehör verschaffen. Die Räte könnten und sollten in dem überschaubaren Bereich, dem sie zugeordnet sind, für die Umsetzung der Anordnungen und Weisungen der kirchlichen Hierarchie Sorge tragen. Sie könnten und sollten gewiss in diesem Sektor auch Anregungen und Vorschläge machen. Sie könnten und sollten aber vor allem den Amtsträgern bei ihren vielfältigen Aufgaben zur Hand gehen.

Doch all dies geschieht in den seltensten Fällen. Die sogenannte Laienarbeit besteht ganz überwiegend nicht im Zeugnis für Christus in der Welt, sondern in dem Mitmischen in kirchlichen, häufig sogar klerikalen Angelegenheiten.

Der Sitzungskatholizismus ist ohne jeden missionarischen Schwung. Ein erheblicher Teil der Räte emanzipiert sich sogar von Lehre und Ordnung der Kirche, betreibt Destruktion an Glaube und Recht, sät Misstrauen und Unzufriedenheit mit der Kirche. Sie wollen bestimmen, was heute noch geglaubt werden kann und was angeblich nicht mehr nachzuvollziehen ist. In den Räten hat in aller Regel jene Proposition Aussicht auf Annahme, die dem glaubensmäßigen und ethischen Minimum näher steht als jede andere.

Das Rätesystem ist das Mittel, durch das sich der Lange Marsch des Progressismus durch die Institutionen der katholischen Kirche vollzieht. Die Räte verbünden sich dabei mit den Medien. Wie diese fast überall eingestellt sind, bedarf keiner Erklärung. Wann immer es mit den Demokratisierern gegen die Hierarchie der Kirche geht, blasen sie zum Angriff. Die Gremien, Sitzungen und Entschließungen des deutschen Katholizismus  sind so auf weite Strecken Kampfinstrumente gegen Lehre und Ordnung der Kirche geworden.

Der deutsche Katholizismus löst sich in ein nebulöses Gebilde von Rede und Gegenrede auf, in dem die Stimme der Wahrheit kaum mehr zu vernehmen ist. Mit dem Rätesystem ist der Konflikt zwischen der alten und der neuen Hierarchie vorprogrammiert, immer vorausgesetzt, dass die alte Hierarchie noch weiß, was ihres Amtes ist, und ihre Pflicht tut.

e) Leerlauf

Das krebsartige Wachstum der Organisationsstrukturen im deutschen Katholizismus steht in einem umgekehrten Verhältnis zu ihrer Fruchtbarkeit. Die Räte und Gremien halten sich weitgehend durch Selbstbeschäftigung in Atem. Alle Räte haben eine Satzung, eine Wahlordnung, und eine Geschäftsordnung. Alle Räte haben Mitglieder, Organe und Einrichtungen, also Vollversammlung, Vosrstand, Ausschüsse und eine Geschäftsstelle. Alle Räte produzieren Papier, das jedem Mitglied zugehen muss.

Das Rätesystem erzeugt einen unheimlichen Leerlauf und bringt einen gigantischen Verschleiß von Zeit, Kraft und Geld mit sich, der in keinem Verhältnis zu dem dadurch erzielten Erfolg steht. Durch die Räte und ihr Wirken ist noch niemend in seinem Glauben gestärkt, in seiner Liebe zur Kirche gefestigt, in seinem sittlichen Kampf ermutigt, in seiner Frömmigkeit gefördert worden. Vielmehr ist von alledem das Gegenteil eingetreten.


(10)  Mörsdorf, Die andere Hierarchie 475


Fortsetzung folgt

Übersicht: Zu den bisher erschienenen Fortsetzungen 


Weiters zum Thema "Hierarchische und demokratische Strukturen in der Kirche":

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Samstag, 28. Juni 2014

Prof. Georg May: Die andere Hierarchie - Teil 40: Fazit: Das Rätesystem

Prof. Dr. Georg May

Die andere Hierarchie


Teil 40


Verlag Franz Schmitt Siegburg AD 1997


Fortsetzung von hier

§ 13  Zusammenfassende Würdigung des Rätesystems

I.  Die Gegen-Struktur

1.  Beraten und Beschließen

Die andere Hierarchie, d.h. das System der Räte und Gremien, ist nun an der göttlichen Verfassung der Kirche zu messen. In den deutschen Diözesen sind auf den Ebenen der Pfarrei, des Dekanates, des Bistums Räte gebildet worden, welche den Laien die Teilhabe an der kirchlichen Sendung ermöglichen sollen.

Diese Gremien sind keineswegs harmlose Versammlungen. "Die Räte sind kirchenamtliche Organe, die zu rechtlichem Handeln im Namen der Kirche befugt sind" (1). Ihre Kompetenz ist sehr ausgedehnt. Der Zuständigkeitsbereich der Räte deckt sich in weitestem Umfang mit jenem der geistlichen Amtsträger. Die Räte haben, anders, als der Name vermuten lässt, nicht bloß beratende, sondern auch beschließende und ausführende Funktionen. Letzteres steht in eindeutigem Widerspruch zum Willen des Zweiten Vatikanischen Konzils. Aus dem Laiendekret Nr. 26 ergibt sich nirgendwo, dass Räte andere als beratende Funktion haben sollten.

2.  Doppelte Vertretungsrolle

Die Laienräte nehmen eine doppelte Vertretungsbefugnis in Anspruch; nach außen, in die Öffentlichkeit, handeln sie im Namen der ihnen zugeordneten Teilgemeinschaften, z.B. als Sprecher einer Pfarrei, nach innen wollen sie die ihnen zugeordneten Teilgemeinschaften in die jeweils nächsthöhere Einheit einbringen.

In dieser doppelten Vertretungsrolle der Laienräte liegt der Versuch des Aufbaues einer anderen Hierarchie, so dass in der Pfarrei nicht allein der Pfarrer, sondern auch der Pfarrgeminderat und in der Diözese nicht allein der Bischof, sondern auch der Diözesamrat verantwortlicher Vertreter der zugeordneten kirchlichen Teilgemeinschaften sind" (2). Die Folgen solcher Doppelung liegen auf der Hand: Was der eine Vertreter einer kirchlichen Gemeinschaft verlautbart, dem kann der andere Vertreter derselben Gemeinschaft widersprechen. Es kommt dann zu dem Zustand, den wir heute haben.

Für die katholische Kirche in Deutschland sprechen sowohl die Deutsche Bischofskonferenz als auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Für die Diözese sprechen der Diözesanbischof und der Diözesanrat. Für die Pfarrei sprechen der Pfarrer und der Pfarrgemeinderat. Es ist offensichtlich: Man hat den Versuch gemacht, "ein "dyohierarchisches System aufzubauen, das von der Pfarrei über die Diözese bis in den Bereich der Deutschen Bischofskjonferenz reicht" (3).

"Das durch die bischöfliche Gesetzgebung im Bereich der Bundesrepublik Deutschland aufgebaute Rätesystem ist, im Ganzen gesehen, der Versuch des Aufbaus einer anderen Hierarchie, die auf der alsbald nach Abschluss des Konzils aufgekommenen Polarisierung von Amtskirche und Laienkirche aufruht. Sie ist Ausdruck einer Demokratisierung, die mit dem konziliaren Selbstverständnis der Kirche als des neuen Gottesvolkes nicht zu vereinbaren ist" (4).

Auf das Konzil kann man sich bei dieser Konstruktion nicht berufen. "Man darf sicher sein, dass das Konzil mit dem knappen Hinweis auf mögliche andere Räte nicht im Traum daran gedacht hat, dem Aufbau eines Rätesystems das Wort zu reden, das von der Pfarrei als Basis ausgeht, bis in die internationale Ebene reichen und neben dem hierarchischen Strukturgefüge der Kirche stehen soll" (5).


II.  Das protestantische Vorbild

Was hier vorgeht, ist offensichtlich. Die hierarchische Kirche soll in eine presbyterial-synodale umgestaltet werden. Das protestantische Modell des Presbyteriums und der Synode steht Pate bei der Gremienbeflissenheit unserer Zeit. Das Rätesystem ist eine schlechte Kopie des protestantischen Presbyterial- und Synodalprinzips. Schon Mörsdorf wies auf das möglicherweise wirksame protestantische Vorbild hin (6).

Wie sieht der Verfassungsaufbau im Protestantismus aus? Ich gebe einen allgemeinen Überblick. Die zahllosen Unterschiede zwischen den ca. 30 evangelischen Kirchen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland bleiben unberücksichtigt. Die protestantische Kirchenverfassung hat sich weitgehend an die weltliche demokratische Ordnung angeglichen. Kennzeichnend sind die presbyterale Organisation der Gemeinde und die Synodalverfassung.

1.  Das Presbyterialsystem

Auf der untersten Ebene steht die Gemeinde. Die protestantische Gemeindeverfassung beruht auf der Vorstellung der Gleichheit aller Kirchenmitglieder; es gibt keine Unterscheidung zwischen allgemeinem und besonderem Priestertum. Der Protestantismus leugnet radikal die Existenz einer Hierarchie göttlichen Rechtes. Er kennt sur eine kollegiale Organisation.

Das Kollegialorgan vertritt die Kirchengemeinde. Die Geistlichen und die übrigen Kirchenmitglieder wirken daher gleichberechtigt bei der Leitung der Gemeinde mit. In allen Landeskirchen existiert ein Gemeindekirchenrat oder Kirchenvorstand. Dem Kirchengemeinderat oder Gemeindekirchenrat bzw. Kirchenvorstand soder Presbyterium obliegt die Leitung der Gemeinde.

In der Kirchenordnung für Westfalen von 1953 heißt es: "Die Presbyter sind berufen, im Presbyterium in gemeinsamer Verantwortung mit den Pfarrern die Kirchengemeinden zu leiten" (art. 35). Weiter unten: "Die Leitung der Kirchengemeinde liegt beim Presbyterium (art. 54 Abs. 1). Seine Zuständigkeit ist umfassend (Art. 55-56). Darin wirken Laien als Kirchenvorsteher (Älteste) mit dem Pfarrer zusammen. Den Vorsitz hat entweder ein Laie oder der Pfarrer. 

In den  lutherischen Landeskirchen wird stärker die Hilfsfunktion gegenüber dem Amt, in der reformierten mehr die gemeinsame Leitungsaufgabe durch Pfarrer und Älteste betont. Pfarrer und Älteste stehen jedoch stets im Verhältnis der Gleich- bzw. Neben-Ordnung.

Die Ältesten wirken an dem (protestantisch) verstandenen Priester-, Hirten- und Lehramt mit. Der Pfarrer kann Leitungs- und Verwaltungsaufgaben nur im Zusammenwirken mit dem Kirchenvorstand wahrnehmen. 

Die Kircheältesten werden auf Zeit, und zwar regelmäßig durch Wahl, bestellt. Der Wirkungskreis des Kirchenvorstandes ist grundsätzlich umfassend. Er ist für alles zuständig, was die Gemeinde angeht. Er vertritt die Gemeinde in ihren inneren und äußeren Angelegenheiten. Der Gemeindekirchenrat hat vielfach weitgehende Rechte z. B. bei der Besetzung gemiendlicher Stellen. Die Ältesten üben Seelsorge aus (8). Die Ältesten haben lehramtliche Funktionen und wirken verantwortlich bei der Ordnung des Gottesdienstes mit (9).

2.  Das Synodalsystem

Neben dem Presbyterialsystem kennt der Protestantismus ein Synodalsystem, das sich auf mehreren Stufen aufbaut (Kreis-, Provinzial-, Nationalsynode). Zwischen den Gemeinden und den Landeskirchen existieren regionale Gliederungen wie Dekanatsbezirke und Kirchenkreise, denen Synoden zugeordnet sind. Die Synoden haben geistliche und weltliche Mitglieder. Geistliche und die übrigen Kirchenmitglieder wirken in ihnen gleichberschtigt mit. Die Landessynoden besitzen (allein) die gesetzgebende Gewalt.

Dieser Aufbau der protestantischen Religionsverbände ist vom protestantischen Lehrsystem her gesehen, konsequent. Der Protestantismus kennt kein Weihesystem und keine Hierarchie. Die protestantische Ordination besitzt keinen sakramentalen Charakter. Sie begründet keinengeistlichen Sonderstatus, der den Ordinierten aus der Gemeinschaft des allgemeinen Pristertums heraushebt.

In der Ordnung des geistlichen Amtes der evangelischen der evangelischen Kirche in Österreich vom 18. November 1949 heiß0t es klipp und klar: Das geistliche Amt "verleiht keinen unverlierbaren Charakter" (1 Abs. 3) Der Ordinierte ist lediglich von Rechts wegen zur Wahrnehmung bestimmter Dienste an Wort und Sakrament beauftragt.

In manchen Kirchenordnungen der neuesten Zeit ist ausdrücklich bestimmt, dass unter gewissen Umständen auch "nichtordinierte Gemeindemitglieder den Dienst der öffentlichen Verkündigung des Evangeliums und der Sakramentsverwaltung  auch ohne besonderen Auftrag übernehmen" können (Berlin-Brandenburg 1949).

Weil es im Protestantismus keine sakramentale Weihe gibt, kann es in ihm auch Über- und Unterordnung sowie die Unterscheidungen von Befehlenden und Gehorchenden nicht geben. Anordnungen von Gremien und Synoden sind lediglich um der guten Ordnung willen nach Möglichkeit zu beachten, aber sie haben keine Begründung im göttlichen Recht.

Was vom protestantischen Standpunkt aus legitim ist, muss, wenn man es auf die katholische Kirche überträgt, aus der Sicht des katholischen Glaubens als Abfall und Verkehrung gekennzeichnet werden. Änderungen in der Ordnung und im Recht besitzen in der katholischen Kirche dogmatische Relevanz. Wenn sich die Disziplin wandelt, wird die Verkehrung des Dogmas vorbereitet. Ein hierarchisches Ordnungsgefüge göttlichen Rechtes ist ohne Gehorsamsverpflichtung nicht denkbar.


(1)  Mörsdorf, Die andere Hierarchie 462
(2)  Mörsdorf, Die andere Hierarchie 477
(3)  Mörsdorf, Die andere Hierarchie 478
(4)  Mörsdorf, Das konziliare Verständnis 401
(5)  Mörsdorf, Das konziliare Verständnis 400f
(6)  Mörsdorf, Die andere Hierarchie479
(7)  Wendt, das Ältestenamt 99
(8)  Wendt, das Ältestenamt 99
(9)  Wendt, das Ältestenamt100

Anm.: Hervorhebung durch Fettdruck von FW

Fortsetzung folgt

Übersicht: Zu den bisher erschienenen Fortsetzungen 

Donnerstag, 26. Juni 2014

Prof. Georg May: Die andere Hierarchie - Teil 39: Die Dyarchie und ihre Folgen

Prof. Dr. Georg May

Die andere Hierarchie


Teil 39


Verlag Franz Schmitt Siegburg AD 1997


Fortsetzung von hier (Die Dyarchie und ihre Folgen)


2.  Die Zermürbung der Priester

Die Einrichtung des Pfarrgemeinderates in den deutschen Bistümern hat schwerwiegende Rückwirkungen auf das Bewusstsein und die Tätigkeit des Pfarrer. 

Die Sitzungen des Pfarrgemeinderates, die in Mainz wenigstens viermal im Jahre abgehalten werden müssen, u.U. aber noch häufiger sind (§6), verschlingen viel kostbare Zeit des Priesters. Diese Zeit fehlt für echte Seelsorge. Nicht selten sind die Sitzungen mit Aufregungen und Kontroversen verbunden. Priester, die gewillt sind, an Lehre und Ordnung der Kirche festzuhalten, gehen mit banger Sorge in die Sitzungen des Pfarrgemeinderates, weil sie ahnen, welche Anschläge dort wieder vorbereitet werden.

Im Konflikt mit dem Pfarrgemeinderat verbrauchen viele Priester ihre Kraft, die Querelen mit dem Pfarrgemeinderat nehmen ihnen die Freude am Beruf und treiben sie in die Resignation. Die Mutlosigkeit und Verzagtheit so manches Priesters hat einen erheblichen Grund in dem Treiben des Pfarrgemeinderates. Die Einrichtung des Pfarrgemeinderates ist zu ihrem Teil daran schuld, dass zahllose Priester müde, verbraucht, ja verzweifelt sind.

Mancher Priester hat seine Stelle wegen der fortwährenden, zermürbenden Streitigkeiten mit dem Pfarrgemeinderat aufgegeben. Es heißt dann, der Pfarrer besitze nicht mehr das Vertrauen seiner Gemeinde oder verstehe nicht, kommunikativ zu handeln. Wenn man die Menschen verführt und verhetzt, kann man jeden Priester um die Akzeptanz in seiner Gemeinde bringen.

Es gibt in deutschen Landen Beispiele, wie durch eine konzertierte Aktion von Pfarrgemeinderat und gemeindlichen Gruppen ein Pfarrer, der dem Gelegen-Ungelegen des Ersten Timotheusbriefes nachlebt, von seiner Gemeinde vertrieben wurde. (Anm.: Das funktioniert inzwischen sogar bei Bischöfen, wie man am Fall des Bistums Limburg sehen konnte.)

Es gibt aber auch in deutschen Landen Beispiele, wie ein Pfarrer, der sich in Verkündigung und Leben massiv gegen Lehre und Ordnung der Kirche verfehlt hat, vom Pfarrgemeinderat und von Gruppen der Gemeinde in seiner Position zu halten versucht wurde.

Die Pfarrgemeinderäte wirken an vielen Stellen als Hemmschuh echter katholischer Seelsorge. Der Pfarrer wird nicht mehr beraten, sondern er wird gesteuert. Viele Pfarrer bemessen ihre Seelsorgsplanung und ihre Seelsorgsunternehmungen nach der Aussicht, die sie haben, vom Pfarrgemeinderat akzeptiert oder wenigstens toleriert zu werden. Sie weichen zurück, wenn der Pfarrgemeinderat oder auch nur die progressistischen Mitglieder desselben die Stirn runzeln, Unbehagen äußern oder Ablehnung bekunden.

Sie haben weder den Willen noch die Kraft, bei richtigen Entschlüssen zu beharren, wenn sie zu einem Konflikt mit dem Pfarrgemeinderat führen. Es ist nicht übertrieben festzustellen: In zahlreichen Pfarreien sind die Direktiven für die Leitung der Pfarrei ganz oder teilweise vom Pfarrer auf den Pfarrgemeinderat übergegangen. Die andere Hierarchie hat sich durchgesetzt.

In Streitfällen erhält der Pfarrgemeinderat regelmäßig die Unterstützung des Ordinariats. Die Ordinariate fordern von einem Pfarrer nicht, dass er sich genau an Lehre und Ordnung der Kirche hält, sondern dass er mit dem Pfarrgemeinderat auskommt. Der Seelsorger, der treu zu Glauben, Ordnung und Gottesdienst der Kirche steht, ist in aller Regel von seinem Bischof im Stich gelassen. Der Pfarrer der nicht kuscht, wird versetzt.

Die Einrichtung des Pfarrgemeinderates ist auch eine der Ursachen für den Rückgang des Priesternachwuchses. Die Priesteramtskandidaten wissen, was bei der Übernahme einer Pfarrei auf sie zukommt, nämlichmin zahllosen Fällen endlose Querelen mit Mitgliedern des Pfarrgemeinderates. Zusammen mit allen anderen Hemmnissen der priesterlichen Berufung, die von den Bischöfen zu verantworten sind, gibt die Furcht vor dem Sitzungskatholizismus ihr den Rest. Die Kandidaten geben ihr Ziel, Priester zu werden, auf. Sie wollen nicht ihre Zeit und ihre Kraft im Streit mit aufsässigen Besserwissern verbrauchen. Hier sollen die Bischöfe endlich einmal einen wesentlichen Grund des Priestermangels erkennen.

3. Das Verstecken hinter dem Pfarrgemeinderat

Manchem Pfarrer ist freilich der Pfarrgemeinderat gerade recht als Mittel und Werkzeug, und zwar in zweifacher Weise. Der bequeme und feige "Gemeindeleiter" mag es als angenehm empfinden, wenn ihm Entscheidungen vom Pfarrgemeinderat abgenommen werden oder wenn er sich hinter ihnen verstecken kann. Er ist dadurch der Last enthoben, selbst entscheiden zu müssen, und kann unangenehmen Entscheidungen ausweichen. Für den bequemen und feigen Pfarrer ist der Pfarrgemeinderat eine willkommene Bedeckung seiner charakterlichen Blöße.

Es ist immer so gewesen. "Die Furcht vor der Verantwortung begünstigt die Flucht in die Abhängigkeit" (Erich Limpach). Eine führende Persönlichkeit muss aber den Mut haben, ungedeckt zu handeln, oder sie ist fehl am Platze.

Andere Pfarrer, die den protestantischen Aufstellungen der progressistischen Theologen erlegen sind, benutzen den Pfarrgemeinderat sogar als Multiplikator ihrer eigenen verwirrten Ansichten und Forderungen. Was sie sich zu sagen oder zu tun (noch) nichtg trauen, das lassen sie durch den Pfarrgemeinderat beschließen und durchführen.

Um ein Beispiel zu erwähnen: Der Pfarrgemeinderat von St. Jakobus in Mannheim lädt Christen jeder Konfession zum eucharistischen Mahle in dieser Kirche ein. Gleichzeitig überlässt er jedem Katholiken die Entscheidung,ob er am protestantischen Abendmahl teilnehmen will (30). Dahin ist es mit der anderen Hierarchie gekommen, dass sie Lehre und Ordnung der Gesamtkirche über den Haufen wirft und aus eigener Machtvollkommenheit neue Tafeln schreibt.


VI.  Im Pfarrverband und im Dekanat

1.  Im Pfarrverband

Was in der Pfarrei beginnt, setzt sich im Pfarrverband fort, nämlich die Einrichtung einer Doppelherrschaft (31). Der Pfarrverband ist der Zusammenschluss rechtlich selbständig bleibender benachbarter Pfarreien zu wechselseitiger Anregung, gemeinsamer Planung, gegenseitiger Hilfe und gemeinsamer Durchführung von Aufgaben.

In der Diözese Speyer gibt es drei Organe des Pfarrverbandes: den Pfarrverbandsrat, den Leiter des Pfarrverbands und das Pfarrverbandsteam (§4). Auch hier ist nicht etwa der Pfarrverbandsleiter, also ein Pfarrer, die entscheidende Person, wenngleich es heißt, ihm obliege die Leitung des Pfarrverbandes (§6). Vielmehr liegt die Beschlussfassung bei dem Pfarrverbandsrat, dessen Beschlüsse für alle Gemeinden des Verbandes verbindlich sind (§5). In diesem Rat sind die Priester in einer hoffnungslosen Minderheit.

2.   Im Dekanat

Ähnlich ist die Lage im Dekanat (32). Der Dekan ist ein Organ der ordentlichen Hierarchie. Er ist Vorsteher eines Dekanates, der Vertrauensmann des Bischofs auf der mittleren Ebene zwischen Bistum und Pfarrei. Der Dekan ist der Beauftragte des Bischofs im Dekanat. Er vertritt kraft Amtes den Bischof im Dekanat und das Dekanat beim Bischof und gegenüber der Öffentlichkeit.

Der Dekan hat die unmittelbare Dienstaufsicht über die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Dekanat. Der Dekan hat hat das Dekanat und die Geistlichen des Dekanates zu leiten.Er trägt Sorge für die gute Amts- und Lebensführung der haupt- oder nebenamtlich angestellten kirchlichen Bediensteten.

Doch neben ihn tritt der Dekanatsrat. Im Dekanatsrat sitzen der Herr Dekan, sein Stellvertreter, bis zu zwei Vertreter jedes Kirchengemeindrates, ein Vertreter der ausländischen Missionen, Vertreter aus kategorischen Seelsorgebereichen, Organisationen, Verbänden und Einrichtungen (33).

Der Dekanatsrat fasst Beschlüsse. Diese sind für die Gemeinden des Dekanates verbindlich. Das heißt: Die Leitung des Dekanates durch den Dekan bekommt Konkurrenz. Neben das priesterliche Haupt des Dekanats tritt die Hydra des Dekanatsrates. Zwar gibt es auch im Dekanatsrat die Möglichkeit des Einspruchs gegen Beschlüsse. Aber wer mag sich schon als einzelner gegen eine große Mehrheit zu wenden? 

Mut ist eine seltene Eigenschaft, und der Mutige muss seinen Mut oft teuer bezahlen. Wenn ein Einspruch erfolgt, ist eine neuerliche Beratung und Beschlussfassung vorgesehen. Wer wird dabei an seiner Position festhalten auf die Gefahr hin, als Querkopf angesehen zu werden? Wenn er daran festhält, ist die Sache der kirchlichen Aufsichtsbehörde vorzutragen. Wird diese wagen, gegen eine Mehrheit zu entscheiden?

Man sieht an diesen Beispielen: Die freie führende Persönlichkeit in der Kirche wird in den Apparat der Ratsfunktionäre eingemauert. Die andere Hierarchie hat sich neben die Hierarchie göttlichen Rechtes gesetzt und deren Glieder teilweise entmachtet.



(30)  Informationen aus Kirche und Welt. Hrsg.: Initiativkreis katholischer Laien und Priester in der Diözese Augsburg e.V. Nr. 5/97 S. 2
(31)  Gemeinsame Synode 664; Ordnung für die Pfarrverbände im Bistum Speyer vom 15. August 1995 (Archiv für katholisches Kirchenrecht 164, 1995, 514-518)
(32)  Gemeinsame Synode 665;Ordnung für die Dekanate im Bistum Speyer vom 15. August 1995 (Pfarramtsblatt 69, 1996, 24ff); Ordnung für die Dekane und deren Mitarbeiter im Bistum Speyer vom 15. August 1995 (Pfarramtsblatt 69; 1996, 28-30)
(33)  Ordnung für Dekanate und Dekanatsverbände in der Diözese Rottenburg-Stuttgart vom 26. Juli 1995 (Pfarramtsblatt 68, 1997, 338-346) §8 Abs. 1



Fortsetzung folgt

Übersicht: Zu den bisher erschienenen Fortsetzungen

Prof. Georg May: Die andere Hierarchie - Teil 38: Der Pfarrgemeinderat (2) - Legitimation und Kompetenz

Prof. Dr. Georg May

Die andere Hierarchie


Teil 38


Verlag Franz Schmitt Siegburg AD 1997


Fortsetzung von hier

III.  Die Frage nach der Legitimation und der Kompetenz

Die Konstruktion des Pfarrgemeinderates, wie sie in den deutschen Diözesen eingeführt ist, bedarf einer grundsätzlichen Prüfung. Es stellt sich die Frage, ob die Pfarrgemeinderäte für die Aufgaben, die ihnen gestellt sind, legitimiert und kompetent sind.

1.  Legitimation

Wer andere demokratisch vertreten will, muss ihr Vertrauen haben. Das Vertrauen wird ihm ausgesprochen durch die Wahl. Eine Wahl, an der sich die weit überwiegende Mehrheit der Wähler nicht beteiligt, vermag eine Legitimation nicht zu schaffen.

Wie sieht es nun mit der Beteiligung an den Pfarrgemeinderatswahlen aus? Die Wahlbeteiligung war nie sehr hoch und hat seit der Einführung der Pfarrgemeinderäte kontinuierlich abgenommen. Im Dekanat Mainz beteiligten sich an der Pfarrgemeinderatswahl 1995 lediglich 17,4 Prozent der Wahlberechtigten. Dabei gab es gravierende Unterschiede zwischen den einzelnen Gemeinden. In der Mainzer Pfarrei St. Bonifaz gingen 3,7 Prozent der Wahlberechtigten zur Urne. Bei den Altersgruppen dominierte die der über 65jährigen (23).

Den Pfarrgemeinderräten fehlt somit die demokratische Legitimation. Wer nicht einmal die Hälfte der Wahlberechtigten einer Gemeinde an die Urnen bringt, der darf sich aufgrund einer solchen Wahl nicht als Vertreter der Wahlberechtigten bezeichnen. Wenn 80 Prozent der Wahlberechtigten von ihrem Wahlrecht keinen Gebrauch machen, bekunden sie ihr Desintersse an dem Wahlvorgang. Gleichzeitig  nimmt ihre Wahlenthaltung dem Wahlergebnis jede demokratische Legitimation.

So kommt man um das Urteil nicht herum: Die Pfarrgemeinderäte sind keine Verwirklichung von Demokratie in der Kirche, sondern pseudodemokratische Vertreter der anderen Hierarchie.

2.  Kompetenz

Den Pfarrgemeinderäten fehlt sodann überwiegend auch die fachliche Kompetenz. Viele Diözesen sprechen dem Pfarrgemeinderat die Allzuständigkeit zu. Die darin zur Sprache kommenden Fragen sind indes häufig kompliziert und subtil. Die Mitglieder des Rates sind zu ihrer Behandlung weder ausgebildet noch angeleitet. Die Folge ist: Das Feld wird regelmäßig von rhetorisch gewandten Personen beherrscht.Viele Menschen meinen ja, wer reden könne, habe auch etwas zu sagen.

Man kann die Mitglieder der Pfarrgemeinderäte, von Ausnahmen abgesehen, etwas vereinfacht in zwei Gruppen einteilen. Die einen sind theologisch nicht gebildet und wagen daher nicht, zu reden oder Widerstand zu leisten. Die anderen sind theologisch verbildet und fühlen sich deswegen berufen, zu jedem Thema zu sprechen. In beiden Fällen sind gedeihliche Verhandlungen und Beschlüsse nicht zu erwarten.


IV. Aufgaben und Übergriffe

1.  Aufgaben

Der Pfarrgemeinderat hat zwei Aufgaben. Einerseits soll er die Seelsorge des Pfarrers in der Gemeinde unterstützen, andererseits soll er die Kirche in der Welt wirksam machen. Der Pfarrgemeinderat soll "die gemeinsame Sendung aller Glieder der Pfarrgemeinde" darstellen. "Im Pfarrgemeinderat sollen sich Pfarrer und Laien über die Angelegenheiten der Gemeinde informieren, gemeinsam darüber beraten und gemeinsame Beschlüsse fassen" (§1 Abs. 1).

Der Rat soll u.a. sich der katechetischen, liturgischen und sozial-caritativen Dienste in der Pfarrgemeinde annehmen, die Verbände, Einrichtungen und Gemeinschaften fördern, sich um die sozialen, ambulanten und stationären Einrichtungen sorgen, das Verantwortungsbewusstsein für die weltkirchlichen Aufgaben und Werke wachhalten, Kontakt zu allen Gemeindemitgliedern suchen, die Katholiken in der Öffentlichkeit vertreten, die ökumenische Zusammenarbeit pflegen und bei der Vermögensverwaltung mitwirken (§1 Abs 2).

Seine Zuständigkeit ist also beinahe unbeschränkt. Er hat nicht nur zu planen und zu beraten, sondern auch durchzuführen und zu leiten. "Der Pfarrgemeinderat ist an der Leitung der Pfarrgemeinde mitbeteiligt, unbeschadet der Pflichten und Rechte der Träger des Priestertums und ihrer Letztverantwortlichkeit als Hirten der Gemeinde" (Präambel). Diese dem Pfarrgemeinderat zugesprochene Mitbeteiligung an der Leitung der Gemeinde ist durchaus ernst gemeint. Der Pfarrgemeinderat hat "das Leben in der Pfarrgemeinde mitzugestalten und Sorge für alle Gemeindemitglieder zu tragen".

2.  Übergriffe

Wenn ein Pfarrgemeinderat überhaupt sinnvoll funktionieren soll, muss er sich auf überschaubare Gegenstände lokalen Interesses beschränken.

Ein örtliches Gremium kann nicht Fragen von dogmatischem, moraltheologischem und kirchenrechtlichem Rang entscheiden. Sobald er sich solcher Dinge annimmt, entfernt er sich von dem ihm zugänglichen Bereich. Aber eben dies geschieht in zahlreichen Gemeinden.

Eine Dame schrieb: "In vielen Laien-Gremien opfern gute Christen ihre Freizeit auf, um beinah gebetsmühlenartig über Zölibat, Frauenpriestertum, Pillenverbot und so weiter zu diskutieren" (24). Wache Christen bemerken, dass "in nicht wenigen Kirchengemeinden" die sogenannte Gemeindeerneuerung "nach der Devise Los von Rom mehr oder weniger offen durchgeführt" wird (25).

Die Beschäftigung des Pfarrgemeinderats mit dem Frauenpriestertum ist ebenso eindeutig eine Kompetenzüberschreitung wie die Ausrufung einer atomwaffenfreien Zone durch ein Stadtparlament. Wie das Ergebnis bei der Abstimmung über  solche allgemeine Fragen aussieht, ist angesichts des heutigen Meinungsklimas von vornherein klar. Populär ist, was bequem und leicht ist, was keine Mühe kostet und wenig Anstrengung mit sich bringt. Vor allem ist die millionenfach erhärtete Feststellung zu beachten: Die Wahrheit ist den meisten Menschen das Gleichgültigste.

Dementsprechend vollzieht sich die Tätigkeit zahlreicher Pfarrgemeinderäte. Sie laden Personen zu Vorträgen ein, in denen die Kirche, vor allem ihre Sittenlehre, madig gemacht wird. Der Pfarrgemeinderat in Türkheim ließ einen altkatholischen Pfarrer über "Frau im Priesteramt" sprechen (26). 

In vielen Pfarreien waren es die Pfarrgemeinderäte oder deren Mitglieder, die das unselige Kirchenvolksbegehren propagierten und unterstützten. Die Priester wurden bedrängt und unter Druck gesetzt, um die Auslegung der Listen in kircheneigenen Räumen oder gar in Gottesdiensträumen zu gestatten oder zu dulden.

Eine Befragung der Pfarrgemeinderäte im Bistum Trier ergab, dass diese mehrheitlich ähnliche Positionen wie das Kirchenvolksbegehren vertreten. 57% wünschen, dass die Kirche ihre Traditionen ernsthaft überprüft, 31% verlangen, dass die Veränderungen schneller durchgeführt werden (27). Die beteiligten Pfarrgemeinderäte haben sich bei dieser Aktion als eine Gefahr für die  Kirche erwiesen; sie werden es mit der fortschreitenden Erosion von Christlichkeit und Kirchlichkeit immer mehr werden.

Ein bekannter Herr erzählte mir, der Pfarrgemeinderat habe ihm zur Geburt seines fünften Kindes eine Broschüre überreicht, in der von vier Brüdern und mehreren Schwestern Jesu die Rede ist (28). Wenn Pfarrgemeinderäte irgendwo nützlich und einwandfrei arbeiten, dann liegt das an den Menschen, nicht an dem Modell.


V.  Die Dyarchie und ihre Folgen

1.  Verfehlte Struktur

Vom Standpunkt der Verfassung der katholischen Kirche ist die Struktur des Pfarrgemeinderates deutscher Prägung unzulässig. Die in den deutschen Diözesen geschaffene Einrichtung des Pfarrgemeinderates begründet in den Pfarreien eine Dyarchie, eine Art Doppelherrschaft.

Es gibt nunmehr  zwei Autoritäten in einer Gemeinde, den Pfarrer und den Pfarrgemeinderat. Pfarrer und Pfarrgemeinderat werden wie zwei gleichberechtigte leitende Organe der Pfarrei nebeneinandergestellt, wenn beispielsweise vorgeschrieben wird, dass sie einmal im Jahr zu einer Pfarrversammlung einladen. 

Der Pfarrgemeinderat ist das Mittel,  die Hauptesstellung des Priesters in seiner Gemeinde einzuebnen. Der Pfarrer unterliegt fast auf dem gesamten Gebiet seiner Tätigkeit der Kontrolle des Pfarrgemeinderates. Es gibt Pfarrgemeinderäte, die ihren Pfarrer wie einen Bediensteten behandeln, der ihren Weisungen nachzukommen hat.

Christa Meves bemerkte richtig, dass "mit Intensität" daran gearbeitet werde, den Priester zu entmachten; sie sprach von "Revoluzzern mit Entthronungsbedürfnissen um der eigenen ... Machtbedürfnisse willen" (29).

Dagegen ist vom göttlichen Recht her Einspruch zu erheben. Die Stellvertretung Christi wird begründet durch den Empfang derf Weihe und die Übertragung  der Vollmacht, nicht durch Wahlen und Satzungen. Dem Pfarrer ist die Hirtensorge über seine Pfarrei anvertraut (cc. 515 §1 und 519). 

Als eigener Hirt der Gemeinde ist er verantwortlich für die Einheit der Gemeinde, für die Verkündigung und den Gottesdienst. Diese Verantwortung hat er gegenüber Gott und seinem Bischof. Der Pfarrer ist nicht Letztverantwortlicher, sondern Erstverantwortlicher. Es ist unzulässig, den Pfarrer zum Mitglied eines Gremiums zu machen, bei dessen Abstimmungen seine Stimme genauso viel oder wenig gilt wie die Stimmen der übrigen Mitglieder.

Es ist ausgeschlossen, dass das priesterliche Haupt der Gemeinde durch deren angebliche Vertreter zu einem bestimmten Handeln gezwungen werden kann. Eine ganz gefährliche Entwicklung wird eingeleitet, indem bei der Neubesetzung einer Pfarrei ein Pfarrgemeinderat seine Ansichten darüber, wie der neue Pfarrer aussehen soll, eröffnen darf.

Wenn die bischöfliche Behörde den Pfarrgemeinderat fragt, wie er sich den anzustellenden Pfarrer vorstellt, dann liefert sie den Hirten den unerleuchteten Vorstellungen der laikalen Funktionäre aus. Der Pfarrgemeinderat legt sich mit seiner Personenbeschreibung auf ein bestimmtes Bild eines Pfarrrers, häufig auf eine ganz bestimmte Person fest. Falls der Bischof dieser Erwartung nicht entspricht, ist der Konflikt da.


(23)  Allgemeine Zeitung vom 14. November 1995 S. 13
(24)  Deutsche Tagespost Nr. 120 vom 5. Oktober 1996 S. 2
(25)  Deutsche Tagespost Nr. 67 vom 3. Juni 1997 S. 9
(26)  Der Fels 28, 1997, 230
(27)  Saka-Information 21, 1996, 68
(28)  Christine Kowalczyk, Ich bin getauft, Hamburg 1992, 41
(29)  Deutsche Tagespost Nr. 28 vom 4. März 1997 S.2


Fortsetzung folgt

Übersicht: Zu den bisher erschienenen Fortsetzungen


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