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Sonntag, 13. April 2014

Benedictus qui venit in nomine Domini! Hosanna! - Hochgelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn! Hosanna!

Um zu verstehen, was am Palmsonntag geschehen ist, und um zu erkennen, was er über jene Stunde hinaus für alle Zeiten bedeutet, erweist sich ein Detail als wichtig, das auch für seine Jünger der Schlüssel zum Verständnis dieses Ereignisses wurde, als sie nach Ostern jene Tage, die von Aufregung gekennzeichnet waren, mit einem neuen Blick noch einmal an sich vorüberziehen ließen. Jesus zieht in die Heilige Stadt ein, auf einem Esel reitend, das heißt auf dem Tier der einfachen, gewöhnlichen Leute vom Land, und noch dazu auf einem Esel, der ihm nicht einmal gehört, sondern den er sich für diese Gelegenheit ausleiht. Er kommt nicht in einer prunkvollen Königskutsche, nicht zu Pferd wie die Großen der Welt, sondern auf einem geliehenen Esel.

Johannes berichtet uns, daß die Jünger das im ersten Augenblick nicht verstanden haben. Erst nach Ostern bemerkten sie, daß Jesus, indem er so handelte, die Ankündigungen der Propheten erfüllte; sie verstanden nun, daß sein Tun sich aus dem Wort Gottes herleitete und daß er es zu seiner Erfüllung brachte. Sie erinnerten sich, sagt Johannes, daß beim Propheten Sacharja zu lesen ist: "Fürchte dich nicht, Tochter Zion! Siehe, dein König kommt; er sitzt auf dem Fohlen einer Eselin" (Joh 12,15; vgl. Sach 9,9). Um die Bedeutung der Prophezeiung und damit des Handelns Jesu zu verstehen, müssen wir den ganzen Text im Buch des Propheten Sacharja hören, der so fortfährt: "Ich vernichte die Streitwagen aus Efraim und die Rosse aus Jerusalem, vernichtet wird der Kriegsbogen. Er verkündet für die Völker den Frieden; seine Herrschaft reicht von Meer zu Meer und vom Eufrat bis an die Enden der Erde" (Sach 9,10). Damit sagt der Prophet drei Dinge über den künftigen König. 

Als erstes sagt er, daß er der König der Armen sein wird, ein Armer unter den Armen und für die Armen. Die Armut wird in diesem Fall im Sinn der anawim Israels verstanden, jener gläubigen und demütigen Seelen, die wir in der Nähe Jesu antreffen – aus der Perspektive der ersten Seligpreisung der Bergpredigt. Man kann zwar in materieller Hinsicht arm sein, aber ein Herz haben, das von dem begehrlichen Verlangen nach materiellem Reichtum erfüllt ist und nach Macht, die auf dem Reichtum beruht. Gerade die Tatsache, daß ein solcher Mensch in Neid und Habgier lebt, zeigt, daß er in seinem Herzen zu den Reichen gehört. Er wünscht sich, die Verteilung der Güter umzustürzen, aber nur um selbst in die Stellung der ehemaligen Reichen zu gelangen.

Die Armut im Sinne Jesu – und im Sinne der Propheten – setzt vor allem die innere Freiheit von der Gier nach Besitz und Macht voraus. Es geht um eine größere Wirklichkeit als bloß um eine Umverteilung der Güter, die doch im materiellen Bereich stehen bliebe, ja, die Herzen noch härter machen würde. Es geht vor allem um die Reinigung des Herzens, dank der man den Besitz als Verantwortung, als Aufgabe gegenüber den anderen anerkennt, indem man sich unter Gottes Blick stellt und sich von Christus führen läßt, der reich war und um unsertwegen arm geworden ist (vgl. 2 Kor 8,9). Die innere Freiheit ist die Voraussetzung für die Überwindung der Korruption und der Habgier, die bereits die Welt verwüsten; eine derartige Freiheit kann nur gefunden werden, wenn Gott unser Reichtum wird; sie kann nur im geduldigen täglichen Verzicht gefunden werden, durch den sie sich als wahre Freiheit entfaltet. Dem König, der uns den Weg zu diesem Ziel weist – Jesus –, jubeln wir am Palmsonntag zu; ihn bitten wir, uns mit auf seinen Weg zu nehmen. 

Als zweites zeigt uns der Prophet, daß dieser König ein König des Friedens sein wird: Er wird die Streitwagen und Schlachtrösser verschwinden lassen, er wird die Bögen zerbrechen und den Frieden verkünden. In der Gestalt Jesu wird das im Zeichen des Kreuzes Wirklichkeit. Das Kreuz ist der zerbrochene Bogen, in gewisser Weise der neue, wahre Regenbogen Gottes, der den Himmel und die Erde miteinander verbindet und eine Brücke über die Abgründe und zwischen den Kontinenten schlägt.

Die neue Waffe, die uns Jesus in die Hände gibt, ist das Kreuz – Zeichen der Versöhnung, der Vergebung, Zeichen der Liebe, die stärker ist als der Tod. Jedesmal, wenn wir uns bekreuzigen, müssen wir uns daran erinnern, der Ungerechtigkeit nicht andere Ungerechtigkeit, der Gewalt nicht andere Gewalt entgegenzusetzen; wir müssen uns daran erinnern, daß wir das Böse nur durch das Gute besiegen können und niemals durch Vergeltung des Bösen mit Bösem. 

Die dritte Aussage des Propheten ist die Ankündigung der Universalität. Sacharja sagt, das Reich des Königs des Friedens "reicht von Meer zu Meer … bis an die Enden der Erde". Die alte, an Abraham und die Väter ergangene Verheißung des Landes wird hier durch eine neue Vision ersetzt: Der Raum des messianischen Königs ist nicht mehr ein bestimmtes Land, das sich notwendigerweise von den anderen trennen und dann unvermeidlich auch gegen andere Länder Stellung beziehen würde. Sein Land ist die Erde, die ganze Welt. Indem er jede Abgrenzung überwindet, schafft er in der Mannigfaltigkeit der Kulturen Einheit.

Wenn wir mit dem Blick die Wolken der Geschichte durchdringen, die den Propheten von Jesus trennten, sehen wir in dieser Prophezeiung wie von ferne das Netz der "eucharistischen Gemeinschaften" auftauchen, das die Erde, die ganze Welt umfängt – ein Netz von Gemeinschaften, die das "Reich des Friedens" Jesu von Meer zu Meer bis an die Enden der Erde bilden. Er kommt überall, in alle Kulturen und in alle Teile der Welt, in die ärmlichen Hütten und notleidenden ländlichen Gebiete ebenso wie in die Pracht der Kathedralen. Überall ist er derselbe, der einzige, und so sind auch alle, die sich in der Gemeinschaft mit ihm zum Gebet versammeln, miteinander in einem einzigen Leib vereint. Christus herrscht, indem er sich selbst zu unserem Brot macht und sich uns schenkt. Auf diese Weise errichtet er sein Reich. 

Dieser Zusammenhang wird in dem anderen alttestamentlichen Wort, das die Liturgie des Palmsonntags und seine besondere Atmosphäre charakterisiert und erklärt, ganz deutlich. Die Menge jubelt Jesus zu: "Hosanna! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn!" (Mk 11,9; Ps 118,26f). Dieses Wort ist Teil des Ritus des Laubhüttenfestes, bei dem sich die Gläubigen mit Palm-, Myrten- und Weidenzweigen in den Händen im Kreis um den Altar herumbewegen.

Jetzt erhebt das Volk, mit Palmzweigen in der Hand, diesen Ruf zu Jesus, in dem es denjenigen sieht, der im Namen des Herrn kommt: Dieser Ausdruck "er, der kommt im Namen des Herrn", war nämlich seit langem zur Bezeichnung des Messias geworden. In Jesus erkennen sie den, der wirklich im Namen des Herrn kommt und die Gegenwart Gottes mitten unter sie bringt. Dieser Hoffnungsruf Israels, diese jubelnde Akklamation Jesu bei seinem Einzug in Jerusalem ist in der Kirche mit gutem Grund zur Akklamation desjenigen geworden, der uns in der Eucharistie auf neue Weise entgegenkommt.

Mit dem Ruf "Hosanna!" grüßen wir den, der in Fleisch und Blut die Herrlichkeit Gottes auf die Erde gebracht hat. Wir grüßen den, der gekommen ist und dennoch immer derjenige bleibt, der kommen soll. Wir grüßen den, der in der Eucharistie immer wieder im Namen des Herrn zu uns kommt und so im Frieden Gottes die Grenzen der Erde verbindet. Diese Erfahrung der Universalität gehört wesentlich zur Eucharistie. Da der Herr kommt, treten wir aus unseren exklusiven Parteilichkeiten heraus und in die große Gemeinschaft all derer ein, die dieses heilige Sakrament feiern. Wir treten in sein Reich des Friedens ein und grüßen in Ihm in gewisser Weise auch alle unsere Brüder und Schwestern, zu denen er kommt, um in dieser zerrissenen Welt wirklich ein Reich des Friedens entstehen zu lassen. 


Papst Benedikt XVI. am 09.04.2006, in seiner Predigt zum Palmsonntag


Donnerstag, 3. April 2014

Reform der Kirche und der Ruf nach Armut



Wenn die Forderungen nach einer Reform der Kirche in der Öffentlichkeit mit dem Ruf nach Armut und Bescheidenheit verbunden wird, geht es nicht selten um ein ganz anderes Ziel: nämlich darum, im Rahmen eines Kulturkampfes das kirchliche Leben, wo es sich nicht auf den caritativen Bereich reduzieren lässt, ins Private oder in gesellschaftliche Randbereiche abzudrängen.

Natürlich kann die Kirche auch in Hausgemeinden und Hinterhöfen gedeihen. Bisweilen hat sie ihre größte Stärke in Katakomben und Konzentrationslagern entwickelt. Und natürlich ist es richtig, wenn Priester, wie von Papst Franziskus gefordert, in die Favelas gehen und die Messe in Scheunen und Garagen lesen. Vollzieht sich die Liturgie würdig und recht, so kann auf diese Weise die Herrlichkeit Gottes durchaus in die Armut der Welt hineingetragen werden. Dann kann selbst eine KZ-Baracke zur Kirche und eine Scheune zum Thronsaal Gottes werden.

Doch wenn wir die Liturgie nicht angemessen feiern, wenn unsere Priester aus Anbiederung, Eigensinnigkeit oder falscher Scham die Liturgie ihrer Schönheit und Erhabenheit berauben, dann geschieht das Gegenteil. Dann wird Gott in einer selbstherrlichen Welt arm gemacht. Dann läuft selbst der Petersdom Gefahr, zu einer Garage zu werden. Dann lassen wir zu, dass die Basiliken Gottes, die seit jeher auch die Paläste der Armen und Schwachen waren, zu Scheunen herabsinken, während die Thronsäle der Reichen und Mächtigen, in denen das Gewand Christi zerschnitten wird, zu Tempeln neuer Götzen werden...


Peter Stephan, "Ein ästhetisches Manifest: Keine Angst vor der Pracht! - Sinn und Schönheit des liturgischen Ornats"; UNA VOCE Korrespondenz 2013/4 (z. Z. hier online zu lesen);



Siehe auch: 


 
Foto: Kardinal Francis Alphonsus Bourne, Erzbischof von Westminster, beim Besuch Irischer Truppen ca. 1918, flickr commons

Mittwoch, 19. März 2014

Der heilige Joseph - ein vollkommenes Vorbild der Armut

Der heilige Franz von Sales über den heiligen Josef:

Der hl. Joseph lebte trotz seiner hohen Stellung stets in Armut und Niedrigkeit. Auf diese Weise blieben seine Tugenden und seine hohe Würde verborgen. Gott will, dass er stets arm bleibe und legt ihm damit eine der größten Prüfungen auf. Bereitwillig unterzieht sich ihr der hl. Joseph, und zwar nicht bloß für einige Zeit, sondern sein Leben lang.

Die freiwillige Armut, welche die Ordensleute geloben, hat etwas Angenehmes, da sie die Annahme und den Gebrauch der notwendigen Dinge gestattet und nur das Überflüssige verbietet. Die Armut des hl. Joseph, des göttlichen Heilandes und der seligsten Jungfrau aber war nicht derart, denn wenn sie auch eine freiwillige war, und der hl. Joseph sie liebte, so blieb sie doch immerhin eine höchst drückende Armut, die ihn in den Augen anderer herabsetzte.

Jedermann hielt diesen großen Heiligen für einen armen Zimmermann, der bei all seiner Arbeit ohne Zweifel oft am Notwendigen Mangel litt, mochte er sich auch in unvergleichlicher Liebe abmühen, um den Unterhalt für seine kleine Familie zu beschaffen. Wie lange dieser Zustand der Armut und Erniedrigung dauern könnte, das stellte er ganz demütig dem Willen Gottes anheim und ließ sich nicht erschrecken und besiegen von dem Feinde im Innern, der gewiss manchen Angriff auf ihn machte.



zitiert nach einem Auszug aus den Schriften des Dieners Gottes Pater Eymard, Stifter der Kongregation vom Allerheiligsten Sakrament - Monat zu Ehren des heiligen Joseph, des ersten und vollkommensten Anbeters Jesu Christi; Verlag des Emmanuel in Buchs im Kanton St. Gallen; AD 1906; S. 88f 


Heiliger Joseph, 
Nährvater Jesu Christi und Bräutigam der allerseligsten Jungfrau Maria,
bitte für uns!

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Katechese von Papst Franziskus bei der Generalaudienz am 19. März 2014
der Wortlaut via zenit.org:



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Herzliche Empfehlung zur Mitgliedschaft in der
ein Gebetsapostolat für die Sterbenden 




Foto: FW

DvH 1: Was ist "Barmherzigkeit"?

Dietrich von Hildebrand


Die Barmherzigkeit

Die Barmherzigkeit Gottes - Urwort des Evangeliums

Die Barmherzigkeit ist in besonderem Sinne eine göttliche Tugend. Wie die Demut eine spezifisch geschöpfliche Tugend ist und von ihr nur in analogem Sinn bei dem Gottmenschen gesprochen werden kann, so ist die Barmherzigkeit eine spezifisch göttliche Tugend, die nur analog bei dem Menschen auftreten kann.

Die Barmherzigkeit ist die herablassende, verzeihende Liebe des absoluten Herrn, des Inbegriffes aller Werte, die sich zu uns, ohne dass wir es irgendwie verdienen, herabneigt. Ja sie tritt am deutlichsten in der Stellung zum sündigen Menschen hervor. 

Kein Gleichnis im Evangelium bringt uns die Barmherzigkeit so deutlich zum Bewusstsein wie das vom verlorenen Sohn. Aus dem Gestus des Vaters, der dem verlornen Sohn entgegeneilt, den Reuigen mit Liebe aufnimmt und sogar das gemästete Kalb für ihn schlachtet, spricht jene spezifisch barmherzige Liebe.

Das ganze Evangelium atmet Barmherzigkeit. Die Barmherzigkeit Gottes ist ein Urbestandteil der christlichen Offenbarung. Sie hebt das Weltbild der Antike, für das ein sich in Liebe herabneigender Gott ein Widerspruch ist, aus den Angeln, sie ist den alles von der Gerechtigkeit des Gesetzes erhoffenden Pharisäern ein Ärgernis.

Die Barmherzigkleit Gottes ist das Urwort des Evangeliums: sie spricht ergreifend aus dem Gleichnis vom Samariter, sie steht mahnend vor uns im Gleichnis des Herrn, der dem Knecht seine Schulden erließ, sie überwältigt uns im Kreuzestod des Herrn, der sterbend für seine Mörder betet.

Aber das Evangelium ist nicht nur die Offenbarung von Gottes Barmherzigkeit, es stellt auch an uns die Forderung, barmherzig zu sein. Die Umgestaltung in Christus fordert, dass wir auch an dieser spezifisch göttlichen Tugend teilhaben.

Jesus sagt beim Gastmahl im Hause des Levi: "Misericordiam volo et non sacrificium", "Ich will Barmherzigkeit und nicht Opfer" (Matth 9,13), die Barmherzigen sind Gott besonders wohlgefällig, ja unsere Barmherzigkeit ist die Voraussetzung dafür, dass wir in Gottes Augen Barmherzigkeit finden. "Beati misericordes: quoniam ipsi misericordiam consequentur", "selig die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen."

Barmherzigkeit - eine besondere Art der Liebe

Die erste Frage, die sich bei der Betrachtung der Barmherzigkeit aufdrängt, ist die nach dem Unterschied von Barmherzigkeit und Liebe. Offenbar ist die Barmherzigkeit auch Liebe, aber sie ist nicht Liebe schlechtweg, sondern eine besondere Art der Liebe. Das Spezifische an der barmherzigen Liebe tritt am deutlichsten hervor, wenn wir uns klarmachen, dass sie stets auf Seiten dessen, dem die Barmherzigkeit gilt, eine "miseria", ein "Elend", voraussetzt. Das ist bei der Liebe im Allgemeinen keineswegs der Fall. Die innertrinitarische Liebe hat nichts von Barrmherzigkeit an sich. Ebenso hat die Liebe der Ehegatten oder zweier Freunde nichts mit Barmherzigkeit zu tun.

Die Barmherzigkeit setzt eine "miseria" bei dem voraus, den man in Liebe aufnimmt; sie hat ferner den Charakter einer Zuwendung auf die der andere keinen Rechtstitel hat, sie hat den Gestus einer spezifischen Herablassung. 

Mitleid in Abgrenzung zur Barmherzigkeit

Man könnte nun meinen, die Barmherzigkeit sei dasselbe wie Mitleid. Aber das wäre ein großer Irrtum. Das Mitleid gilt erstens stets einem besonderen konkreten Leid einer Person. Wir haben Mitleid mit einem Kranken, mit einem Armen, mit einem Schwergeprüften. Das Erbarmen, die Barmherzigkeit, hingegen gilt stets der "miseria" der ganzen menschlichen Kreatur, welche hier konkret hervortritt.

Das eigentliche Objekt der Barmherzigkeit ist die allgemeine Hilflosigkeit und Gebrechlichkeit des erbsündigen Menschen, das besondere Leid wird bei ihr nur als Ausdruck der in der metaphysischen Situation des erbsündigen Menschen gelegenen allgemeinen "miseria" gefasst. Dem Barmherzigen öffnen sich die Abgründe dieser Situation des Menschen im "Tal der Tränen", und der Adel des Menschen als gottebenbildlicher geistiger Person leuchtet ihm auf diesem Hintergrund in besonderer Weise auf.

Der Blick des Barmherzigen dringt viel tiefer als der des Mitleidigen, er sieht das Geschöpf stets im Lichte seiner metaphysischen Situation, er betrachtet die jeweilige Situation "in conspectu Dei". Das verleiht der Barmherzigkeit einen feierlichen und heroischen Zug, der dem Mitleid fehlt.

Zweitens ist das echte Mitleid stets leidensvoll - der Mitleidige ist stets ein Mitleidender. Er wird in die Situation des Leidenden mit einbezogen. Die Barmherzigkeit aber ist nicht selbst leidensvoll, sonst könnte Gott in seiner unentlichen Seligkeit, in der kein Schatten von Leiden wohnt, nicht barmherzig sein. Der Barmherzige wird nicht in die Situation des Leidenden mit einbezogen, sondern beherrscht sie in eigentümlicher Weise "von oben her".

Das führt uns von selbst zu dem dritten unterscheidenden Merkmal von Barmherzigkeit und Mitleid. Das Mitleid setzt stets eine gemeinsame Grundsituation voraus, es erfolgt "inter pares", unter Gleichgestellten. Die Barmherzigkeit setzt stets eine Überlegenheit des Barmherzigen voraus. Er umfasst zwar intentional das Leid des anderen, aber sein eigener Standort ist außerhalb dieses Leides - ja oberhalb. Darum liegt in jeder Barmherzigkeit der Gestus der Herablassung: der Barmherzige neigt sich liebend zu dem Elend herab. 

Bei dem Mitleid fehlt ein solches Herabneigen; sobald es sich einschleicht, bedeutet es eine Verfälschung des Mitleids, aus dem echten Mitleid wird dann jenes hochmütige Verhalten, das von dem Bemeitleideten als beleidigend empfunden wird. Denn das Mitleid ist ein spezifischer Ausfluß der Solidarität aller Menschen im Leid, ein spezifisches Sich-Gleichstellen mit dem Bemitleideten. Es bezieht sich, wie wir sahen, stets formell auf ein besonderes Leid eines Menschen, aber ausgehend von der gemeinsamen menschlichen Grundsituation.

Das Erbarmen ist hingegen wesenhaft nur aus Gott möglich, es ist ein eigentümliches Teilhaben an der primär nur Gott möglichen Haltung eines liebenden Sich-Herabneigens. Es ist darum eine spezifisch übernatürliche Tugend, nur aus dem christlichen Ethos heraus vollziehbar; jeder Versuch, es auf rein natürlicher Ebene zu vollziehen - im Sinne eines herablassenden Mitleids - , würde sogar etwas Negatives, Unwertiges hervorrufen.


(Zwischenüberschriften eingefügt und Hervorhebung durch Fettdruck von FW)
Fortsetzung HIER

Teil 2, 3, 4, 5


Dietrich von Hildebrand in "Die Umgestaltung in Christus"; Verlag Josef Habbel Regensburg; AD 1971; S. 288-290 (s. Quellen)



Weiteres zum Thema "Barmherzigkeit":

Montag, 27. Januar 2014

Zum Nachdenken - Armut (1)


Der Mangel an wahrer Familienliebe
und gesunder Familienhaftigkeit
ist unsere größte Armut bei Hoch und Niedrig.


Adolf Kolping

Bild: Engel; Basilika zu Ottobeuren; eigenes Foto

Freitag, 29. November 2013

Beglückende Liebe

Jeder, der Christus zu lieben beginnt, macht eine merkwürdige Erfahrung: Je mehr er geben will, um so mehr erfährt er sich als der Beschenkte. Je mehr er Christus lieben will, um so mehr erkennt er, wie gering und erbärmlich seine Liebe ist, und gleichzeitig erfährt er, dass Christus ihn trotzdem liebt.

Gerade das macht das Beglückende an seiner Liebe aus. Ich erkenne, wie wenig ich seine Liebe verdiene und wie ich trotzdem von Ihm geliebt werde. Christus schenkt mir seine Liebe, weil Er so gut ist, nicht weil ich es bin. Je mehr meine Not wächst angesichts meiner Unfähigkeit, Ihn zu lieben, um so mehr wächst meine Seligkeit angesichts seiner Beharrlichkeit, mich immer weiter zu lieben. Je mehr ich meine Armut erkenne und anerkenne, um so mehr werde ich von Ihm beschenkt und reich gemacht.

Der hl. Vinzenz Pallotti schreibt:
"Nichts und Sünde ist mein ganzer Reichtum, Nichts und Sünde ist mein ganzes Leben. Aber durch die Liebe Gottes und seine große Barmherzigkeit ist das ganze Leben unseres Herrn Jesus Christus mein Leben."

Es ist etwas anderes, auf diese Weise die Liebe Gottes zu erfahren, und etwas anderes, sich auf die Liebe Gottes zu berufen, um im Sündigen fortfahren zu können. Bei näherem Zusehen stellt sich im letzten Fall diese Liebe als ein Zerrbild der Liebe Gottes heraus. Dieselbe besteht nicht mehr darin, unsere Sünden zu verzeihen und uns aus unserer Not zu erlösen, sondern die Sünden zu verharmlosen und uns in unsrer Not zu belassen.

Wer mit Berufung auf die Liebe Gottes z.B. die Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten fordert, kann unmöglich dieser Liebe im Blick des Herrn einmal begegnet sein. Er beruft sich zwar auf die Liebe Gottes, aber wie auf eine Instanz, die ihm fremd geblieben ist und die er niemals erfahren hat. Die Liebe kann niemals ja sagen zur Sünde. Wer der Liebe des Herrn begegnet, erfährt sie auch als solche, die nichts Unheiliges in ihrer Nähe dulden kann, die höchste Reinheit der Seele fordert.

Die Liebe Christi ist gleichzeitig verzeihend und fordernd, zärtlich einladend und streng gebietend, unendlich sanft und überraschend stark. Das sind nur scheinbare Gegensätze. Wer die verzeihende Liebe des Herrn erfahren hat, weiß, wie unwiderstehlich in ihm der Drang entsteht, diese Liebe mit Gegenliebe zu beantworten. Je sanfter die erfahrene Liebe, um so stärker dieser Drang; je beseligender die Erfahrung ihrer Milde, um so quälender das Wissen um die eigene Unfähigkeit, Christus so zu lieben, wie er es eigentlich verdient.

 
P. Engelbert Recktenwald in "Jesus Christus - Einige Gedanken über die Gretchenfrage unseres Glaubens"; AD 1999 , S. 11-13 (s. Quellen)



Bild: Der Apostel Johannes an der Brust des Herrn (Heiligkreuztaler Johannesminne); wikipedia

Donnerstag, 22. August 2013

Der Arme

Hast du den Bruder gesehen
arm und scheu vorübergehen?
Oder sagst du: Ich kenne ihn nicht! -
Wer weiß, was er trieb
da wir uns verdienten
mit Mühe und Fleiß
Wohlstand und Erdenglück - - - ?
Wer weiß - - - ?

Ach, sieh ihn an und ruf ihn zurück.
Und war er nicht so fest wie du,
wirf keinen Stein.
Sind wir nicht alle Bettler vor Gott? - 
Wie müsste das sein
machte der Herr uns die Türe einst zu
ohne Erbarmen im letzten Gericht
und sagte desgleichen:
Ich kenne dich nicht! -


Maria Nels


auch von Maria Nels:
Sie brauchen dich

Mittwoch, 7. August 2013

Die Option für die Armen - eine Irrlehre?


Die Armen sind der wahre Schatz der Kirche!



Es gibt Gläubige, die noch nicht gehört haben (oder es für eine Irrlehre halten) dass der katholischen Kirche die "Option für die Armen" ein Anliegen ist. Nun ist es ja so, dass wir alle nicht alles wissen (können) und schon garnicht Experten für alles sind und deshalb möglicherweise auch noch dazulernen können. Das ist keine Schande und in einem Zeitalter, in dem "lebenslanges Lernen" ein Muss ist, ohnehin schon nicht. Das gilt für mich so gut wie für alle anderen Mitchristen.

Zur Sache: Kritisiert wird (s. hier im Kommentarbereich), Papst Franziskus habe das Ziel einer "Kirche der Armen", er pflege deshalb eine "'Anbetung' und 'Glorifizierung' der Armut". Als Beweis dafür, dass diese Sicht- und Ausdrucksweise nicht katholisch und unangemessen ist (und der Theologie Joseph Ratzingers aka Papst Benedikt XVI. diametral entgegengesetzt ist), wird Bezug genommen auf die Thesen des lateinamerikanischen Jesuiten Jon Sobrino, der "2007 (...) als erster Theologe unter Papst Benedikt XVI. deswegen abgemahnt [wurde]. Der Vorwurf: Sobrino mache nicht den Glauben der Kirche zum Ausgangspunkt der theologischen Reflexion, sondern die "Kirche der Armen." (hier) 

 1. Zum Verfahren und der Verurteilung der Irrtümer in den Schriften von Jon Sobrino sei gesagt, dass die Kritik sich nicht am Begriff "Kirche der Armen" entzündete, sondern daran, dass Sobrino eine "Kirche der Armen" als Ausgangspunkt für seine theologischen Reflexionen ausmachte. Der "einzige gültige 'ekklesiale Ort' für die Christologie und für die Theologie im allgemeinen" kann aber nur, so die Glaubenskongregation, der apostolische Glaube der Kirche sein. "P. Sobrino tendiert dazu, den normgebenden Wert der Aussagen des Neuen Testaments und der großen Konzilien der Alten Kirche zu mindern." Verurteilt wurden dementsprechend "Irrtümer methodologischer Natur", die zu Schlussfolgerungen führen, die "mit dem Glauben der Kirche in entscheidenden Punkten – wie der Göttlichkeit Jesu Christi, der Menschwerdung des Sohnes Gottes, der Beziehung Jesu zum Reich Gottes, seinem Selbstbewußtsein und dem Heilswert seines Todes – nicht übereinstimmen". (vgl. "Erklärende Note zur Notifikation 3) Man sieht, es geht hier um andere Dinge als den Begriff der "Kirche der Armen".

Weitere Erklärungen zum Verfahren gegen P. Sobrino und dem Verhältnis der Kirche zu den Armen aus der "Erklärenden Note zur Notifikation":
Von seiten der Kongregation war es also notwendig, die nachfolgende »Notifikation« zu einigen Werken von P. Jon Sobrino SJ zu veröffentlichen, in denen verschiedene Auffassungen entdeckt wurden, die aufgrund ihrer Irrigkeit oder Gefährlichkeit den Gläubigen schaden können. P. Sobrino zeigt sich in seinen Veröffentlichungen besorgt um die Lage der Armen und der Unterdrückten, besonders in Lateinamerika. Diese Sorge gehört zweifellos der ganzen Kirche.

Wie die Kongregation für die Glaubenslehre selbst in ihrer Instruktion Libertatis conscientia über die christliche Freiheit und die Befreiung sagt, hat das menschliche Elend »das Mitleid Christi geweckt, der dieses Elend hat auf sich nehmen und sich mit den ›geringsten seiner Brüder‹ (Mt 25,40.45) hat identifizieren wollen«, und ist »die Option, die den Armen den Vorzug gibt, weit davon entfernt, ein Zeichen von Partikularismus und Sektarismus zu sein; sie offenbart vielmehr, wie universell Sein und Sendung der Kirche sind. Diese Option schließt niemanden aus.

Das ist der Grund, warum die Kirche diese Option nicht mit Hilfe von einengenden soziologischen und ideologischen Kategorien zum Ausdruck bringen darf; sie würden aus dieser vorrangigen Zuwendung eine parteiische Wahl konfliktbetonter Art machen«.[1]

Zuvor hatte dieselbe Kongregation in der Instruktion Libertatis nuntius über einige Aspekte der »Theologie der Befreiung« bereits angemerkt, daß die Warnungen bezüglich jener theologischen Strömung, die im Dokument enthalten sind, nicht als Tadel derer ausgelegt werden dürfen, die der »vorrangigen Option für die Armen« treu bleiben wollen, noch denen zum Vorwand dienen dürfen, die sich gleichgültig zeigen gegenüber den tragischen Problemen des Elends und der Ungerechtigkeit.[2]

Diese Aussagen zeigen deutlich, was die Position der Kirche im Hinblick auf diese komplexe Problematik ist: »Die schlimmen Ungleichheiten und Unterdrückungen aller Arten, die heute Millionen von Männern und Frauen treffen, stehen in offenem Widerspruch zum Evangelium Christi und können das Gewissen keines Christen gleichgültig lassen. Vom Heiligen Geist geführt, geht die Kirche in Treue voran auf den Wegen der authentischen Befreiung.

Ihre Glieder wissen um ihre eigenen Schwächen und ihren Rückstand bei dieser Suche. Eine große Zahl von Christen hat jedoch seit den Zeiten der Apostel ihre Kraft und ihr Leben für die Befreiung von jeder Form der Unterdrückung und für die Förderung der Menschenwürde eingesetzt. Die Erfahrung der Heiligen und das Beispiel so vieler Werke im Dienst am Nächsten sind Ansporn und Licht für die befreienden Initiativen, die heute gefordert sind.«[3]


[1] Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Libertatis conscientia 68: AAS 79 (1987), 554–599. 
[2] Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Libertatis nuntius, Vorwort: AAS 76 (1984), 876–909. 
[3] Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Libertatis conscientia 57.


2. Aber sollen nun die Armen von der Kirche bevorzugt werden, muss ihnen besondere Liebe und Aufmerksamkeit engegengebracht werden? Ist die Kirche nicht eine Kirche aller Menschen, der Reichen wie der Armen? Nimmt man den anderen, denen es gut geht, nicht etwas weg, wenn die Kirche eine "Option für die Armen" propagiert? Müssen nicht alle gleich behandelt werden?

Kurz gesagt: Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, dass die Armen von Ungerechtigkeit und Sklaverei (der Sünde) befreit werden und dass dafür ein besonderer Einsatz gefordert ist. Wie ist das im christlichen Sinne zu verstehen:

Antwort gibt z. B. die Instruktion über die christliche Freiheit und die Befreiung – "Libertatis conscientia"
"Die Armen, die Gegenstand der besonderen Liebe Gottes sind, verstehen am besten und gleichsam instinktiv, daß die tiefste Befreiung, nämlich die von Sünde und Tod, durch das Sterben und Auferstehen Christi bewirkt wird."

Der Einfachheit und des besseren Überblicks wegen seien hier einige Passagen des obengenannten Dokumentes der Glaubenskongregation zitiert, das unterzeichnet ist von ihrem damaligen Präfekten Joseph Ratzinger und das die Geschichte der Befreiung des Gottesvolkes, der "Armen Jahwes", aufzeigt: 
45. In seinem Heilsplan hat Gott Israel sein Gesetz gegeben. Es enthält neben den universal geltenden moralischen Geboten des Dekalogs auch kultische und zivile Normen, die das Leben des von Gott erwählten Volkes für sein Zeugnis unter den Völkern regeln sollten. In diesem gesamten Gesetzeswerk bildet die Liebe zu Gott, die über alles geht,35 und die Liebe zum Nächsten, die wie zu sich selbst sein soll,36 den Mittelpunkt. Aber auch die Gerechtigkeit, die die Beziehungen zwischen den Menschen regeln soll, und das Recht als deren juridischer Ausdruck sind ein sehr charakteristischer Wesenszug des biblischen Gesetzes. Die Gesetzesbücher und die Predigt der Propheten wie auch die Psalmen beziehen sich ständig auf das eine wie auf das andere, sehr oft auf beides zusammen.37 In diesem Kontext muß man die Sorge des biblischen Gesetzes für die Armen und Mittellosen, für die Witwen und Waisen anerkennen: Man schuldet ihnen Gerechtigkeit nach der Rechtsordnung des Gottesvolkes.38 Das Ideal und der Entwurf existieren also bereits in einer Gesellschaft, die ganz auf den Kult des Herrn ausgerichtet und auf die Gerechtigkeit und das Recht gegründet ist, die beide von der Liebe beseelt werden.

Die Lehre der Propheten

46. Die Propheten erinnern Israel ständig an diese Forderungen des Bundesgesetzes. Im verstockten Herzen des Menschen prangern sie die Quelle wiederholter Gesetzesübertretungen an und kündigen einen neuen Bund an, bei dem Gott ihre Herzen verwandeln und ihnen das Gesetz seines Geistes einschreiben wird.39

Bei der Ankündigung und Vorbereitung dieser neuen Zeit klagen die Propheten mit Nachdruck die Ungerechtigkeit an, die gegen die Armen begangen wird; für sie machen sie sich zu Sprechern Gottes. Jahwe ist die höchste Zuflucht der Kleinen und Unterdrückten, und der Messias wird den Auftrag haben, sie zu verteidigen.40

Die Lage des Armen ist eine Unrechtssituation, die dem Bund widerspricht. Deshalb schützt ihn das Bundesgesetz durch die Gebote, die die Haltung Gottes selbst widerspiegeln, als er Israel aus der Knechtschaft Ägyptens befreite.41 Die Ungerechtigkeit gegen die Kleinen und Armen ist eine schwere Sünde, die die Gemeinschaft mit Jahwe zerstört.

Die »Armen Jahwes«

47. Aus allen Formen von Armut, erlittener Ungerechtigkeit und Not lassen die »Gerechten« und die »Armen Jahwes« ihre Bitten in den Psalmen zu Ihm aufsteigen.42 Sie leiden in ihrem Herzen an der Knechtschaft, der das Volk »mit steifem Nacken« wegen seiner Sünden unterworfen ist. Sie erdulden Verfolgung, Martyrium und Tod, aber sie leben in der Hoffnung auf Befreiung. Ihr Vertrauen setzen sie vor allem auf Jahwe, dem sie ihre Sache anheimstellen.43

Die »Armen Jahwes« wissen, daß die Gemeinschaft mit Ihm44 das höchste Gut ist, worin der Mensch seine wahre Freiheit findet.45 Für sie ist der Verlust dieser Gemeinschaft das schlimmste Übel. Deshalb gewinnt ihr Kampf gegen die Ungerechtigkeit seinen tiefsten Sinn und seine Wirksamkeit aus ihrem Willen, von der Knechtschaft der Sünde befreit zu werden.

Auf der Schwelle zum Neuen Testament

48. Auf der Schwelle zum Neuen Testament bilden »die Armen Jahwes« die Anfänge eines »demütigen und armen Volkes«, das aus der Hoffnung auf die Befreiung Israels lebt.46

Indem Maria diese Hoffnung verkörpert, überschreitet sie die Schwelle des Alten Testamentes. Sie verkündet mit Freude den messianischen Anbruch und preist den Herrn, der sich anschickt, sein Volk zu befreien.47 In ihrem Lobpreis auf die göttliche Barmherzigkeit besingt die demütige Jungfrau, der sich das Volk der Armen spontan und mit so großem Vertrauen zuwendet, das Geheimnis des Heils und seine verwandelnde Kraft. Der Glaubenssinn, der bei den »Kleinen« so lebendig ist, versteht ohne weiteres den ganzen soteriologischen und ethischen Reichtum des Magnifikats.48

Die christologische Bedeutung des Alten Testamentes

Im Lichte Christi

49. Der Exodus, der Bund, das Gesetz, die Stimme der Propheten und die Spiritualität der »Armen Jahwes« erreichen ihre volle Bedeutung erst in Christus.

Die Kirche liest das Alte Testament im Licht des für uns gestorbenen und auferstandenen Christus. Sie sieht ihr eigenes Vorbild im Volk Gottes des Alten Bundes, konkret verleiblicht in einer einzelnen Nation mit ihrer politischen und kulturellen Verfassung, die in den Schoß der Geschichte eingepflanzt wurde als Zeuge Jahwes vor dem Angesicht der Völker, bis die Zeiten der Vorbereitung und der Bilder erfüllt waren. In der durch Christus heraufgeführten Fülle der Zeit sind die Kinder Abrahams berufen worden, zusammen mit allen Völkern in die Kirche Christi einzutreten, um zusammen mit ihnen ein einziges geistiges und universales Gottesvolk zu bilden.49


Die christliche Befreiung

Verkündigung der Frohen Botschaft an die Armen

50. Jesus verkündet die Frohe Botschaft vom Gottesreich und ruft die Menschen zur Umkehr.50 »Den Armen wird das Evangelium verkündet« (Mt 11, 5): Indem Jesus dieses Prophetenwort aufnimmt,51 offenbart er sein messianisches Handeln für alle, die das Heil von Gott erwarten. Der Gottessohn, der sich aus Liebe zu uns arm gemacht hat,52 will sogar in den Armen erkannt werden, in jenen, die leiden oder verfolgt werden:53 »Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan« (Mt 25, 40). 

35 Vgl. Dtn 6,5. 
36 Vgl. Lev 19, 18. 
37 Vgl. Dtn 1, 16-17; 16, 18-20; Jer 22, 3-15; 23, 5; Ps 33, 5; 72, 1; 99, 4. 
38 Vgl. Ex 22, 20-23; Dtn 24, 10-22. 
39 Vgl. Jer 31, 31; Ex 36, 25-27. 
40 Vgl. Jes 11, 1-5; Ps 72, 4. 12-14; Instruktion Libertatis nuntius, IV, 6: AAS 76 (1984), 883. 
41 Vgl. Ex 23, 9; Dtn 24, 17-22. 
42 Vgl. Ps 25; 31; 35; 55; Instruktion Libertatis nuntius, IV, 5: AAS 76 (1984), 883. 
43 Vgl. Jer 11, 20; 20, 12. 
44 Vgl. Ps 73, 26-28. 
45 Vgl. Ps 16; 62; 84. 
46 Zef 3, 12-20; vgl. Instruktion Libertatis nuntius, IV, 5: AAS 76 (1984), 883.
47 Vgl. Lk 1, 46-55. 
48 Vgl. PAUL VI., Apostolisches Schreiben Marialis cultus, 37: AAS 66 (1974), 148-149. 
49 Vgl. Apg 2, 39; Röm 10, 12; 15, 7-12; Eph 2, 14-18. 
50 Vgl. Mk 1, 15. 
51 Vgl. Jes 61, 9. 
52 Vgl. 2 Kor 8, 9. 
53 Vgl. Mt 25, 31-46; Apg 9, 4-5.

Des weiteren:
Jesus und die Armut

66. Christus, der reich war, wurde arm, um uns durch seine Armut reich zu machen.95 Der heilige Paulus spricht hier vom Geheimnis der Menschwerdung: Der ewige Sohn Gottes ist die sterbliche Menschennatur anzunehmen gekommen, um den Menschen aus dem Elend zu erretten, in das ihn die Sünde gestürzt hatte. Darüber hinaus hat Christus als Mensch einen Stand der Armut und Entbehrung gewählt,96 um zu zeigen, worin der wahre Reichtum besteht, den man suchen soll, nämlich die Lebensgemeinschaft mit Gott. Er lehrte den Verzicht auf die Reichtümer der Erde, damit wir Sehnsucht nach den Schätzen des Himmels haben.97 Die Apostel, die er erwählt hat, mußten auch selbst alles verlassen und sein Los teilen.98

Durch den Propheten als Messias der Armen99 angekündigt, hat er gerade unter diesen, den Niedrigen, den »Armen Jahwes«, die nach der Gerechtigkeit des Gottesreiches dürsteten, die Herzen gefunden, die ihn aufnahmen. Aber er wollte auch denen nahe sein, die, obwohl reich an irdischen Gütern, als »Zöllner und Sünder« von der Gemeinschaft ausgeschlossen waren; denn er war gekommen, um sie zur Bekehrung zu rufen.100

Eine solche Armut, geformt aus Verzicht, Gottvertrauen, Gelassenheit und Bereitschaft zum Teilen, hat Jesus seliggepriesen.
95 Vgl. 2 Kor 8, 9. 
96 Vgl. Lk 2, 7; 9, 58. 
97 Vgl. Mt 6, 19-20. 24-34; 19, 21. 
98 Vgl. Lk 5, 11. 28. Mt 19, 27. 
99 Vgl. Jes 11, 4; 61, 1; Lk 4, 18. 
100 Vgl. Mk 2, 13-17; Lk 19, 1-10.

Die Liebe, die den Armen den Vorzug gibt

Indem die Kirche die Armen liebt, bezeugt sie die Würde des Menschen. Deutlich betont sie, daß der Mensch mehr gilt durch das, was er ist, als durch das, was er besitzt. Sie bezeugt, daß diese Würde nicht zerstört werden kann, wie auch immer die Situation des Elends, der Mißachtung, der Ablehnung und der Ohnmacht sein mag, in die ein Mensch geraten ist. Sie zeigt sich mit denjenigen solidarisch, die nichts zählen für eine Gesellschaft, von der sie geistig und manchmal sogar körperlich ausgestoßen sind. Insbesondere wendet sich die Kirche in mütterlicher Liebe denjenigen ihrer Kinder zu, die aufgrund ihrer menschlichen Bosheit niemals das Licht verbreiten, wie auch den alten Menschen, die einsam und verlassen sind.
Die Option, die den Armen den Vorzug gibt, ist weit davon entfernt, ein Zeichen von Partikularismus und Sektarismus zu sein; sie offenbart vielmehr, wie universell Sein und Sendung der Kirche sind. Diese Option schließt niemanden aus.
Das ist der Grund, warum die Kirche diese Option nicht mit Hilfe von einengenden soziologischen und ideologischen Kategorien zum Ausdruck bringen darf; sie würden aus dieser vorrangigen Zuwendung eine parteiische Wahl konfliktbetonter Art machen.

Das mag hier genügen, um aufzuzeigen, wie eng die Sendung der Kirche mit der "Option für die Armen" verbunden ist. In den genannten Dokumenten (sie seien zur Lektüre empfohlen) sind darüber hinaus noch zahlreiche weitere Aspekte genannt und erklärt, die dann auch verstehen lassen, was die wirkliche "Theologie der Befreiung" im christlichen Sinne ist - im Gegensatz zu einer politisch oder soziologisch verstandenen verengenden Sicht der sogenannten "Befreiungstheologen".

Der Irrtum ist nicht der, dass eine "Theologie der Befreiung" behauptet wird, die es garnicht gibt, sondern dass dieser Begriff, der tatsächlich eine Berechtigung im Glauben der Kirche hat, mit falschen oder verkürzenden Inhalten gefüllt wird - so wie bei dem Begriff der "Kirche der Armen".

Fazit: Wenn der Papst von einer "Kirche der Armen" spricht, dann im Sinne des Glaubens der Kirche wie er oben beschrieben ist. Mag dieser Begriff in unseren Breitengraden ungewohnt sein und falsche Assoziationen wecken, er hat doch nichts Tadelnswertes.


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 Foto: Vinzenz von Paul u.a.; "Was ihr dem Geringsten meiner Brüder gatan habt, das habt ihr mir getan."; Andrzej Otrębski; wikimedia commons

Mittwoch, 3. April 2013

"Evangelische Armut" bedeutet "Freiwerden für den Nächsten"

"Jesus Christus, der reich war mit dem ganzen Reichtum Gottes, ist unsertwegen arm geworden, so sagt uns der heilige Paulus im 2. Korintherbrief (8, 9); es ist ein unergründliches Wort, über das wir immer wieder nachdenken sollten. Und im Philipperbrief heißt es: Er hat sich entäußert, sich erniedrigt und war gehorsam bis zum Tod am Kreuz (2, 6ff).

Er, der arm geworden ist, hat die Armen selig gepriesen. Der heilige Lukas zeigt uns in seiner Version der Seligpreisungen, daß dieser Zuruf – die Seligpreisung der Armen – sich durchaus auf die armen, wirklich armen Menschen im Israel seiner Zeit bezieht, wo es einen bedrückenden Gegensatz zwischen Reichen und Armen gab.

Der heilige Matthäus aber erklärt uns in seiner Version der Seligpreisungen, daß freilich die bloße materielle Armut als solche für sich allein noch nicht die Nähe zu Gott verbürgt, denn das Herz kann hart und von der Begierde nach Reichtum erfüllt sein.

Freilich läßt er uns – wie die ganze Heilige Schrift – erkennen, daß Gott in jedem Fall in besonderer Weise den Armen nahe ist. So wird klar: Der Christ sieht in ihnen Christus, der auf ihn wartet, auf seinen Einsatz.

Wer Christus radikal nachfolgen will, muß auf materielle Habe verzichten. Aber er muß diese Armut von Christus her leben, als inwendiges Freiwerden für den Nächsten. Die Frage der Armut und der Armen muß für alle Christen, aber besonders für uns Priester und Ordensleute, die einzelnen wie die Ordensgemeinschaften, immer wieder Inhalt einer ernsten Gewissenserforschung sein."


Papst em. Benedikt XVI.  am 08.09.2007 in Mariazell



Samstag, 30. März 2013

Liturgie und Armut

Von P. Bernward Deneke FSSP, Wigratzbad

Im beginnenden 13. Jahrhundert entstanden fast zeitgleich die Bettelorden der Dominikaner und der Franziskaner. So verschieden die beiden Gründer in mancherlei Hinsicht auch waren, in der Forderung strenger Armut für ihre Gemeinschaften stimmten sie überein.

Freilich besitzt die Armut in ihrem Leben und Selbstverständnis eine jeweils unterschiedliche Bedeutung. Während Dominikus für seine Brüder eine Armut anstrebte, die dem Ordensmann Freiheit für seinen apostolischen Dienst schaffen und seine Predigttätigkeit glaubwürdiger machen sollte, hatte die „heilige Armut“ bei Franziskus einen geradezu mystischen Klang, verstand er sie doch als den Weg zur bräutlichen Vereinigung mit dem armen, entblößten Jesus in Seinen Geheimnissen von Krippe und Kreuz und im Sakrament des Altares.

Trotz der verschiedenen Akzentsetzung war die gelebte Armut beiden Heiligen aber überaus wichtig. Deshalb erstaunt es nicht wenig, wenn Dominikus und Franziskus in einer praktischen Frage, die durchaus mit der Armut zusammenhängt, recht gegensätzliche Vorstellungen hatten und entsprechend andersartige Anordnungen erließen.

Über Dominikus lesen wir in den Akten seiner Heiligsprechung: „Die Armut ging ihm über alles, und zwar in bezug auf die Lebensweise, wie etwa die Kleider seiner Brüder, als auch bezüglich der Häuser, der Kirchen, des Kults, wie was den Schmuck der liturgischen Gewänder anging. Er verwendete zu seiner Zeit viel Mühe daran, dass die Brüder im Gottesdienst weder purpurne noch seidene Stoffe als Gewänder oder Altartücher verwendeten und keine goldenen noch silbernen Gefäße außer den Kelchen hatten.“

Ganz anders der Poverello von Assisi. Für gewöhnlich stuft man seine Armut als besonders radikal – radikaler auch als die des heiligen Dominikus – ein. Dennoch lesen wir in einem Brief des heiligen Franziskus die Anweisung: „Die Kelche, die Korporalien, den Altarschmuck und alles, was zum eucharistischen Opfer in Beziehung steht, sollen sie (die Brüder) in kostbarer Ausführung haben.“ Und der erste Biograph des heiligen Franziskus, Thomas von Celano, erzählt: „Einmal wollte er Brüder mit kostbaren Gefäßen durch die Welt schicken, damit sie überall, wo sie gewahr würden, dass der Preis unserer Erlösung ungeziemend aufbewahrt werde, ihn an dem würdigsten Ort bergen sollten.“

Liturgie und Armut – man darf sich wohl die Frage stellen, welcher der beiden großen Ordensgründer die Sache richtiger gesehen hat. Zugunsten des heiligen Dominikus könnte man die ebenso spitze wie tieftraurige Bemerkung des heiligen Bernhard von Clairvaux anführen, in der frühen Kirche seien die Kelche aus Blech, die Herzen der Priester aber aus Gold gewesen, während nun die Kelche aus Gold, die Priesterherzen hingegen aus Blech seien. Aber bei allem Respekt vor dem „honigfließenden Lehrer“ muss doch die Frage erlaubt sein, ob denn der Blechkelch das Herz des Priesters automatisch vergolde; und ob nicht die heilige Wirklichkeit der eucharistischen Gegenwart Jesu geradezu danach rufe, kostbare Gefäße für dieses Kostbarste zu verwenden.

So wenigstens dürfte, gemeinsam mit dem heiligen Franziskus, der weitaus größere Teil anerkannter Glaubenszeugen gedacht haben. Persönlich schlichte und bescheidene Priester ließen sich, wenn es um die Gestaltung der Altäre, die Beschaffung edler Gegenstände ging, vom Eifer für das Haus des Herrn verzehren (vgl. Ps 68,9; Joh 2,17). Demütige, verborgene Ordensschwestern arbeiteten über Jahre und Jahrzehnte, damit die Priester bei der Darbringung der „reinen, heiligen und makellosen Opfergabe“ (Römischer Kanon) in würdige, ja herrliche Kleider gehüllt seien. Und gläubige Laien beteiligten sich hingebungsvoll daran, die Kirchen zu schmücken und in leuchtendem Glanz erstrahlen zu lassen – auch heute noch gibt es viele Beispiele dafür.

Aber leider hat sich seit Jahrzehnten insgesamt eine entgegengesetzte Tendenz ausgebreitet. Während Prachtstücke der Goldschmiedekunst und Paramentik unbenutzt in Sakristeien oder Museen stehen, setzt man in der Liturgie vorwiegend dürftige und nichtssagende Massenprodukte ein, die oft nicht einmal billig oder wenigstens preiswert sind. An die Stelle evangelischer, franziskanischer Armut ist so die zur Schau gestellte Armseligkeit einer im Übrigen sehr wohlhabenden Kirche getreten...

Man verstehe mich nicht falsch: Nicht einer sakralen Glitzerwelt voller Prunk und Protz soll hier das Wort geredet werden. Gerade das Vorbild des heiligen Franziskus zeigt uns, dass es nicht hohle Veräußerlichung, nicht überfeinerter Ästhetizismus, auch nicht der Drang zu klerikaler Selbstdarstellung sein darf, der sich für die Schönheit der Liturgie und des Gotteshauses einsetzt, vielmehr die gläubige und liebende Betrachtung des geopferten Jesus in der schlichten Brotsgestalt. Rufen wir uns in diesem Zusammenhang nur die Gestalt des armen und demütigen Pfarrers von Ars in Erinnerung: ein Priester mit goldenem Herzen und goldenem Kelch! 


Hinweise:
- mit freundlicher Genehmigung des Verfassers
- dieser Beitrag erschien zuerst am 20.06.2010 im Schweizerischen Katholischen Sonntagsblatt (SKS) Nr. 12/2010!   :-)

 

Montag, 25. März 2013

Suchet zuerst das Reich Gottes...

Von John Henry Newman

Im Evangelium werden die Jünger arm genannt, verachtet, schwach und hilflos: so waren vor allem die Apostel; bei den Propheten dagegen, besonders bei Isaias, wird das Reich als wohlhabend, blühend, geehrt, mächtig und glücklich bezeichnet.

Das ist so sehr die Sprache der Prophezeiungen, dass die Apostel vor der Erleuchtung durch den Herrn meinten, dass sie als Herrscher in Seinem Reich die Güter dieser Welt erben würden. Sie erlagen der Versuchung, nach einem Throne auszuschauen gleich dem Throne Davids und nach einem Königspalast gleich dem Salomons: Ganz anders freilich ist das Wesen des Reiches Christi.

Allmählich erst verstanden sie die Wahrheit, dass nämlich unter dem Evangelium jene, die nach solch einem Throne und solch einem Palast ausschauen, sie niemals erhalten, oder wenn doch, dann nur zu ihrem Schaden, nicht zu ihrem Segen.

Wahrlich, so war es von der göttlichen Vorsehung bestimmt, dass das Reich des Evangeliums ein bedeutendes Sittengesetz verkörpert, das allen wohlbekannt ist, die sich mit dieser Frage beschäftigten.

Tugend und Güte bringen es allein zuwege, dass die Menschen mächtig werden in dieser Welt; die aber auf Macht ausgehen, haben keine Tugend. Wiederum: Die Tugend hat ihren Lohn in sich, und in ihrem Geleite sind die wahrsten und höchsten Freuden; die sie aber um der Freuden willen pflegen, sind selbstsüchtig, nicht fromm, und gelangen nie zur Freude, weil sie keine Tugend haben.

So ist es mit der Kirche Christi. Suchte sie Macht, Reichtum und Ehre, so hieße das, aus der Gnade fallen, - doch es ist nicht weniger wahr, dass sie diese Güter haben wird, obwohl sie sie nicht erstrebt, oder besser, wenn sie sie nicht erstrebt.

Denn wenn die Menschen uneigennützige Güte sehen und Heiligkeit, die keine selbstsüchtigen Ziele kennt, und Gewissenhaftigkeit,die streng an das Pflichtgefühl gebunden ist, und Glauben, der diese Welt für die nächste preisgibt, dann können sie nicht umhin, jenen, die diese Vorzüge aufweisen, das zu geben, auf was sie freiwillig verzichten und um was sie nicht bitten - Vertrauen und Einfluß.

Wer sich zurückzieht, den sucht man auf: wer sich um Gunst bemüht, der wird verachtet. Satan bot unserem Herrn alle Königreiche der Welt, Er jedoch wies den Bösen zurück: vom Vater aber erlangte Er, was Er dem Versucher gegenüber ausschlug.

Und so ergeht es allen Seinen Jüngern. Die Heiligen leben in Sack und Asche; aber man begräbt sie in Seide und Edelstein. Die Kirche weist die Güter dieser Welt zurück, aber diese Güter fließen ihr ungebeten zu. Macht und Einfluß, Vertrauen, Ansehen und Reichtum fließen ihr zu, weil sie nicht darum bittet; sie hat sie, weil sie sie nicht sucht, - sucht sie sie aber, dann verliert sie sie.

Sie kann die Anhäufung irdischer Güter nicht hindern, es sei denn, sie suchte sie oder machte sich Sorge um sie. Die Menschen gehen darauf aus, sie zu berauben,wenn sie sehen, dass sie diese hochschätzt.Sie beneiden sie darum, wenn sie ihnen Wert beimisst. Sie missgönnen sie ihr und sind ihr gram darob, wenn sie sehen, dass ihre Diener sie für sich selbst verschwenden, für ihre eigene Person, für ihre Familien, für ihre Verwandten und Untergebenen, wenn sie damit ihr Eigentum vermehren, sie entweihen und sie testamentarisch für nicht fromme Zwecke hinterlassen.

Dadurch allerdings kann sich die Kirche vor Macht und Würde bewahren, dass sie sie zum unmittelbaren Ziel ihrer Gedanken macht. Und dies meinten die Apostel im Anfang auch machen zu müssen. So ist es auch mit den Reichen dieser Welt. Eikommen und Eigentum, Tribut und Steuer, das sind gewichtige Dinge, unentbehrlich für Staat und Regierung; Macht, Würde, Ehre, Reichtum und Glanz: das sind hohe Werte bei den Menschenkindern.

So aber darf es bei uns nicht sein. "Demütigung geht der Ehre voraus" [Spr 15,33]. "Ihr wisst", sagt unser Herr, "dass die Fürsten der Heiden Herrschaft ausüben über sie und die Großen Gewalt über sie haben. Bei euch aber sei es nicht so; wer immer unter euch groß werden will, der sei euer Diener; Und wer unter euch der Erste sein will, der sei Euer Knecht; gleichwie der Menschensohn nicht gekommen ist, Sich bedienen zu lassen, sondern zu bedienen und sein Leben zu geben als Lösepreis für viele" ( Mt 20,25-28). (...)

Wie lautet ferner das Gebot hinsichtlich der Reichtümer dieser Welt? "Liebet nicht die Welt, noch das, was in ihr ist; wenn jemand die Welt lieb hat, so ist die Liebe des Vaters nicht in ihm. Denn alles, was in der Welt ist, das ist die Begierlichkeit des Fleisches, die Begierlichkeit der Augen und die Hoffart des Lebens, was nicht vom Vater, sondern von der Welt ist" (1 Jo 2,15.16). Das ist das Gesetz für die Kirche.

Nun wollen wir vom Propheten hören, was die Folge davon ist. "Eine Flut von Kamelen wird dich bedecken. Dromedare aus Madian und Epha; aus Saba kommen alle, opfern Gold und Weihrauch und verkünden das Lob des Herrn" (Is 60,6).

Bedeutet das nicht, dass Gold und Silber der Kirche zufließen und von ihr angenommen werden dürfen, wenn sie sie zum Lob des Herrn verwendet, - dass diese aber augenblicks, da sie um ihretwillen geliebt werden, zu ihrem ursprünglichen Staub zurückkehren, ihre Weihe verlieren und so "nicht vom Vater, sondern von der Welt"sind. (...)

Das also ist das Gesetz des Reiches Christi, das der Widerspruch, wie er sich in seiner Geschichte zeigt. Es gehört den Armen im Geiste, es gehört den Verfolgten, es wird in Besitz genommen von den Sanftmütigen und getragen von den Geduldigen. Es siegt im Leiden, dringt vor durch Rückzug, wird weise durch Torheit.


John Henry Newman: Predigten Bd. 9; Sarto Verlag Stuttgart 2002; Reprint der Ausgabe von 1958; S 271-276: aus einer Predigt über Is 11,4 "Heiligkeit, das Merkmal des christlichen Weltreiches" (s. Quellen)


(Hervorhebungen durch Fettdruck von FW)



"Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib das Geld den Armen; so wirst du einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach." (vgl. Mt 19,21; Mk 10,21; Lk 12,33; Lk 18,22)

"Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit; dann wird euch alles andere dazugegeben. Sorgt euch also nicht um morgen; denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen. Jeder Tag hat genug eigene Plage." (Mt 6,33f)

Donnerstag, 21. März 2013

Endlich: Eine arme Kirche für die Armen!

Reichtum bedeutet, seine Zeit und sein Herz in weltlichen Dingen zu verlieren. Die Sorge um weltliche Güter lässt keinen oder zu wenig Raum für Gedanken an Gott und sein Evangelium. Und wenn doch noch Gott im Leben des Reichen eine Rolle spielt, so hängt der Reiche oftmals an den weltlichen Gütern, die er nicht hergeben will - statt wenigstens im Geiste arm zu sein. Deswegen, sagt die Hl. Schrift, ist es schwer für einen Reichen, ins Himmelreich einzugehen (Mt 19,16,ff).

Arme Menschen gibt es überall, auch bei uns. Oft ist es nicht nur die materielle Armut, die die Menschen von Gott trennt, welches das größte Elend ist, in das ein Mensch fallen kann. Oft ist es eine geistige Leere, eine Armut "im religiösen Bereich", die blind und taub macht für den Ruf Gottes und zu einem erbarmungswürdigen Zustand des Menschen führen kann. In diesem Sinne können auch reiche, wohlhabende Menschen sehr arm sein. Ihnen fehlt die erste Bedingung um nach dem ersten Tod in den Himmel einzugehen: "Wenn du aber das Leben erlangen willst, halte die Gebote!" (Mt 19,17). Arm sein allein also ist noch keine Option, um gerettet zu werden. Erst in der Kombination von "Armut" und "Gehorsam gegen Gott" wird Christusnachfolge authentisch.

Für die Kirche bedeutet "arm sein" auch "frei sein". Erst durch ihre Unabhängigkeit und ihre Armut, durch ihre "Entweltlichung", wird sie weltoffen und wird auch "ihr missionarisches Handeln wieder glaubwürdig" (BXVI. s.u.). Das bedeutet nicht, dass die Liturgie, in der Himmel und Erde sich begegnen und welche bereits den Blick auf die Schönheit und die Kostbarkeit des Himmels eröffnet, armselig sein soll - im Gegenteil. Hier gilt, was Christus dem späteren Verräter Judas zur Antwort gibt, als dieser die (angebliche) Verschwendung missbilligt, die Maria in Bethanien durch das Salben der Füße Jesu mit kostbarem duftenden Öl verursachte: "Lass sie..."(Joh 12,3ff).

Die Kirche aber muss sich freihalten von allen weltlichen Geschäften, undenkbar, dass Jesus gewollt hat, dass die Kirche ganze Konzerne verwaltet (wie es in der reichen Kirche in Deutschland realiter ist). Man muss nicht erst an den Skandal um den bischöflichen Weltbild-Verlag (2011) erinnern, der wohl nur die Spitze des Eisbergs darstellt und durch den noch immer unverändert glaubenszersetzende Medien unter's Volk gebracht werden. Für die Glaubwürdigkeit der Kirche gibt es kaum Schlimmeres.


Papst Franziskus sagte am 16.03.2013 bei der Audienz für die Medienvertreter:

"Ach, wie möchte ich eine arme Kirche und eine Kirche für die Armen!" 
("Ah, come vorrei una Chiesa povera e per i poveri!")


Benedikt XVI. sagte:

"Stellen wir uns vor, ein solches exposure-Programm fände hier in Deutschland statt. Experten aus einem fernen Land würden sich aufmachen, um eine Woche bei einer deutschen Durchschnittsfamilie zu leben. Sie würden hier vieles bewundern, den Wohlstand, die Ordnung und die Effizienz. Aber sie würden mit unvoreingenommenen Blick auch viel Armut feststellen: Armut, was die menschlichen Beziehungen betrifft, und Armut im religiösen Bereich. (...)
Wir sehen, daß in unserer reichen westlichen Welt Mangel herrscht. Vielen Menschen mangelt es an der Erfahrung der Güte Gottes."



und einen Tag später, ebenfalls in Freiburg sagte derselbe:

"Um ihrem eigentlichen Auftrag zu genügen, muß die Kirche immer wieder die Anstrengung unternehmen, sich von dieser ihrer Verweltlichung zu lösen und wieder offen auf Gott hin zu werden. Sie folgt damit den Worten Jesu: „Sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin“ (Joh 17,16), und gerade so gibt er sich der Welt. Die Geschichte kommt der Kirche in gewisser Weise durch die verschiedenen Epochen der Säkularisierung zur Hilfe, die zu ihrer Läuterung und inneren Reform wesentlich beigetragen haben.

Die Säkularisierungen – sei es die Enteignung von Kirchengütern, sei es die Streichung von Privilegien oder ähnliches – bedeuteten nämlich jedesmal eine tiefgreifende Entweltlichung der Kirche, die sich dabei gleichsam ihres weltlichen Reichtums entblößt und wieder ganz ihre weltliche Armut annimmt. Damit teilt sie das Schicksal des Stammes Levi, der nach dem Bericht des Alten Testamentes als einziger Stamm in Israel kein eigenes Erbland besaß, sondern allein Gott selbst, sein Wort und seine Zeichen als seinen Losanteil gezogen hatte. Mit ihm teilte sie in jenen geschichtlichen Momenten den Anspruch einer Armut, die sich zur Welt geöffnet hat, um sich von ihren materiellen Bindungen zu lösen, und so wurde auch ihr missionarisches Handeln wieder glaubhaft.

Die geschichtlichen Beispiele zeigen: Das missionarische Zeugnis der entweltlichten Kirche tritt klarer zutage. Die von materiellen und politischen Lasten und Privilegien befreite Kirche kann sich besser und auf wahrhaft christliche Weise der ganzen Welt zuwenden, wirklich weltoffen sein. Sie kann ihre Berufung zum Dienst der Anbetung Gottes und zum Dienst des Nächsten wieder unbefangener leben. Die missionarische Pflicht, die über der christlichen Anbetung liegt und die ihre Struktur bestimmen sollte, wird deutlicher sichtbar. Sie öffnet sich der Welt, nicht um die Menschen für eine Institution mit eigenen Machtansprüchen zu gewinnen, sondern um sie zu sich selbst zu führen, indem sie zu dem führt, von dem jeder Mensch mit Augustinus sagen kann: Er ist mir innerlicher als ich mir selbst (vgl. Conf. 3, 6, 11)."


aus der Freiburger Konzerthaus-Rede von Papst Benedikt XVI. bei seinem Deutschlandbesuch am 25.09.2013


UPDATE (Ergänzung):

Papst Franziskus am 22.03.2013 vor dem Diplomatischen Korps:

"Doch es gibt auch noch eine andere Armut! Es ist die geistliche Armut unserer Tage, die ganz ernstlich auch die Länder betrifft, die als die reichsten gelten. Es ist das, was mein Vorgänger, der liebe und verehrte Benedikt XVI., „Diktatur des Relativismus“ nennt und was jeden sein eigener Maßstab sein lässt und so das Zusammenleben unter den Menschen gefährdet."


Weiteres zum Thema:

Montag, 18. März 2013

Schönheit und Pracht der Kirchen und evangelische Armut


"Wenn die Priester zur evangelischen Armut zurückkehren wollen, dann sollten sie bedenken, daß in den Vereinigten Staaten und in Deutschland der Klerus vielfach die elegantesten Wägen, die besten Kameras, die modernsten Fernsehgeräte besitzt. Viel zu trinken und zu rauchen steht in eindeutigem Gegensatz zur evangelischen Armut - doch sicher nicht die Schönheit und Pracht der Kirchen."


Dietrich von Hildebrand in: "Das trojanische Pferd in der Stadt Gottes"; EOS-Verlag AD 1992, Seite 296


Weiteres zum Thema:




Foto: Wieskirche; © FW

Montag, 29. Oktober 2012

Umkehr und Demut sind Fundamente der (Neu-) Evangelisierung

Wir alle müssen bei uns selbst beginnen...



"Aufrichtig erkennen wir an, dass wir zuallererst uns selbst zur Macht Christi bekehren müssen. Er allein kann alles neu machen, insbesondere unser armes Leben. Demütig müssen wir anerkennen, dass die Armut, die Schwächen und die Sünden der Jünger Jesu, besonders der Geistlichen, auf der Glaubwürdigkeit der Mission lasten.

Sicher sind wir uns dessen bewusst, wir Bischöfe als erste, dass wir nie auf der Höhe der Berufung von Seiten des Herrn und der Weitergabe seines Evangeliums durch die Verkündigung an die Völker sein können. Wir wissen, dass wir demütig unsere Verletzlichkeit durch die Wunden der Geschichte anerkennen müssen und zögern nicht, auch unsere eigenen persönlichen Sünden einzugestehen.

Wir sind jedoch auch überzeugt, dass die Kraft des Geistes des Herrn seine Kirche erneuern und ihr Gewand erstrahlen lassen kann, wenn wir uns von ihm gestalten lassen. Das zeigen uns die Heiligenleben, deren Gedenken und Erzählen ein bevorzugtes Mittel der Neuevangelisierung ist."


aus der Schlussbotschaft der Teilnehmer der Bischofssynode in Rom an die Gläubigen in aller Welt (5),  27.10.2012


Donnerstag, 4. Oktober 2012

Der hl. Franziskus und die Schönheit der Kirchen

"Der heilige Franziskus, der in seinem eigenen Leben die evangelische Armut aufs äußerste befolgte, hat niemals behauptet, daß die Kirchen trocken, kahl und ohne Schönheit sein sollten. Im Gegenteil. Kirche und Altar konnten ihm nie schön genug sein. Dasselbe kann man etwa auch vom hl. Pfarrer von Ars oder von der hl. Theresia von Avila sagen. (1)

Es entsteht ein lächerlicher Widerspruch, wenn um der evangelischen Armut willen künstlerisch wertvollste Kirchen niedergerissen und - unter großen Kosten - durch prosaische und kahle Gotteshäuser ersetzt werden. (2)

Nicht die Schönheit und der Glanz der Kirche ist unverträglich mit dem Geist der evangelischen Armut und gibt den Armen Ärgernis, sondern vielmehr der unnötige Luxus und Komfort, der heute so weit verbreitet ist.

Wenn die Priester zur evangelischen Armut zurückkehren wollen, dann sollten sie bedenken, daß in den Vereinigten Staaten und in Deutschland der Klerus vielfach die elegantesten Wägen, die besten Kameras, die modernsten Fernsehgeräte besitzt. Viel zu trinken und zu rauchen steht in eindeutigem Gegensatz zur evangelischen Armut - doch sicher nicht die Schönheit und Pracht der Kirchen.

Einerseits behauptet man, die Kirchen sollten kahl sein, andererseits errichtet man in Pfarren und auf den Campus katholischer Colleges häßliche Gebäude für Gesellschaftszwecke, die mit jeder Art von unnötigem Luxus ausgestattet sind; und dies tut man im Namen der sozialen Fürsorge und des Gemeinschaftsgeistes. Sogar in Klöstern kann man ähnliche Entwicklungen finden..."


(1) Vgl. Theresia vom Kinde Jesu 'Leben' (München 1960) 9. Kap. u. a.
(2) Vgl. Michel de Saint Pierre "Sainte Colère" (Paris: Editions de la Tabl Ronde, 1965) S. 175

Dietrich von Hildebrand in: "Das trojanische Pferd in der Stadt Gottes"; EOS-Verlag AD 1992, Seite 296f


Heiliger Franziskus, bitte für uns!

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