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Sonntag, 11. März 2012

Die Grundlage jeder Erneuerung: Der Glaube (9)

 Prof. DDr. Josef Seifert  (1976)

Fortsetzung Teil 9

Schizophrenie

A.  Die erstrangige Bedeutung des Glaubens, ja sogar der Wahrheit, wird heute von vielen geleugnet. Beeinflußt von Kantschen Theorien, die über Feuerbach, Hegel und Heidegger von Bultmann aufgenommen wurden und durch Bultmann auch in die katholische Theologie eingedrungen sind, kamen viele Zeitgenossen zu der Überzeugung, daß der Mensch keinen Zugang zu objektiver Wahrheit und transzendentem Sein habe.

Diese Anschauung läßt nicht einmal die Frage aufkommen, was die Wahrheit in sich ist, sondern stellt den Menschen in die Mitte und kümmert sich allenfalls darum, was die Religion für unser Leben bedeutet, welchen Wert sie für unsere persönliche Lebenserfahrung und -bereicherung hat.

Die Theologie wird in dieser Sicht, und so hat es schon Feuerbach ausgedrückt, tatsächlich zu bloßer Anthropologie. Die Wahrheit wird nicht mehr in ihrem eigenen Wert gesehen, der den all ihrer Wirkungen übersteigt, nein, sie wird überhaupt wert- und bedeutungslos.

Die "existenzielle Erfüllung" ist das einzige, was im Leben des Menschen zählt. Für Bultmann ist sogar die Frage, ob Christus wirklich Gott und Mensch war, belanglos. Die Idee Gottes wird als eine Art fiktive Schöpfung des menschlichen Geistes betrachetet - Kant nannte das eine "heuristische Fiktion"; nach dieser Auffassung brauchen wir, um unser Lebensglück zu finden, nur so zu leben, "als wären wir von Gott erlöst".

Für diese einigermaßen schizophrene Haltung gibt es, auf einer immerhin sympathischeren Ebene, ein Beispiel in der Weltliteratur: wo Don Quichote seinem Sancho Pansa erklärt, auch wenn Dulcinea von Toboso, die Dame seines Herzens, in Wirklichkeit nicht die einzigartige Schönheit und all die edlen Eigenschaften besäße, die in seiner Phantasie lebten, so hätte das nichts zu sagen, solange er nur die Kraft und Mut von dem Bild erhalte, das er sich von ihr mache.

Mit dieser Abwendung von der "fides quae creditur" greift eine radikale Entartung unseres Glaubens um sich. Die unendliche Bedeutung der "fides quae creditur", der Wahrheit der Glaubensinhalte, die die eigentliche Grundlage des Glaubens und des religiösen Lebens ist, entschwindet dem Bewußtsein.


Anthropozentrische Gewichtsverlagerung

B.  Diese Blindheit gegenüber der wesenhaften Würde und Majestät der Wahrheit führt auch zur Aufgabe des innersten Sinns des Glaubensaktes (fides qua creditur): der Verherrlichung Gottes. Und der Verlust dieser Dimension ist wahrhaftig keine Erneuerung, sondern eine eigentliche Zerstörung des Glaubens.

Alle Anbetung und jedes Gebet zielt auf die Verherrlichung Gottes, und darin besteht auch der primäre Sinn des heiligen Messopfers (Per ipsum, et cum ipso, et in ipso, est tibi Deo Patri omnipotenti, in unitate Spiritus Sancti, omnes honor et gloria), der Kern unseres ganzen sittlichen Lebens und vor allem der Liebe zu Gott, welche die Quelle und Krönung jeglicher Liebe ist.

Von hier aus ist leicht zu durchschauen, daß Hunderte von Formen, in denen sich die sogenannte Erneuerung der Kirche heute zeigen soll, nichts als Deformationen der Religion sind, die den Menschen zum Mittelpunkt machten:

- so die Behauptung, die Liebe zu Gott komme nur in der Mitmenschlichkeit zum Ausdruck; so der Versuch, den Opfercharakter der heiligen Messe zugunsten ihres Mahlcharakters abzutun;

 - so die Aufgabe der theozentrischen Ausrichtung des Priesters, also seiner Hinwendung zu Altar und Tabernakel, zugunsten der Wendung zum Volke hin, worin nicht selten die anthropozentrische  Gewichtsverlagerung zum Ausdruck kommt;

- so der Mangel an Interesse für eine Liturgie, die in ihrer Schönheit der Verherrlichung Gottes dient, und der alles beherrschende Wille, sie zeitgemäß, attraktiv zu machen;

- so eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber der Sünde und dem Sittengesetz;

- so das bedeutungsvolle Schweigen bezüglich der Verherrlichung Gottes;

Diese und viele andere Zeichen lassen die unglückselige Richtungsänderung von Gott weg auf den Menschen als Mittelpunkt erkennen.

Fortsetzung folgt


Prof. Josef Seifert:
Die Grundlage jeder Erneuerung: Der Glaube
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Donnerstag, 19. Januar 2012

Der kämpfende Mensch (1)

Im Folgenden ein Vortrag des Philosophen und Autors Prof. Josef Seifert, der gegenwärtig Rektor der Internationalen Akademie für Philosophie (IAP) in Liechtenstein ist. Der Text wurde bereits in den Ausgaben Nr. 10 und 11 des Jahrgangs 1975 der katholischen Zeitschrift "DER FELS" abgedruckt.

Ich danke dem Fels-Verlag für die freundliche Erlaubnis zur Veröffentlichung.


Josef Seifert

Der kämpfende Mensch

Das Thema, über das ich sprechen soll, ist ein im besten Sinne des Wortes unzeitgemäßes Thema, und es war Ihre sehr originelle Idee, dieses gerade heute zu wählen, da kaum irgendwer noch anerkennen will, daß überhaupt - vor allem auf geistigem Gebiet - der Kampf im menschlichen Leben eine entscheidende Rolle spielt. Sogar im politischen Denken behaupten zwei Schlagworte (die im Westen ernstgenommen werden) das Feld: "Entspannung" und "Friede", und nicht selten versteht man darunter Frieden um jeden Preis.

Wer immer in der politischen Theorie letzte feindliche Gegensätze feststellt, etwa zwischen einem Rechtsstaat und einem die Menschenrechte mit Füßen tretenden System, zwischen Christentum und christlicher Weltverantwortung einerseits und einem kommunistisch-atheistischen, oder auch bürgerlich atheistischen, sozialistischen Idol andererseits, wird als Fanatiker oder als "kalter Krieger" oder mit ähnlichen Bezeichnungen abgelehnt.

Man braucht etwa nur daran zu denken, wie das - gewiß auch politische Fragen berührende - Wirken des an sich ganz religiös orientierten P. Werenfried van Straaten vor allem bei gewissen Intellektuellen erbittertem Widerstand begegnet; allein die Tatsache, daß er über die blutigen und unblutigen Christenverfolgungen in den Ländern des Ostens nicht schweigt, erzürnt sie.

Oder denken wir an Kardinal Slipyi und seine Intervention auf der römischen Bischofssynode, wo er von einem Verrat an all den in der Ukraine verfolgten und ermordeten Christen sprach. Gerade sein Brandmarken dieser Übel führte zu seiner Kaltstellung.

Das Sprechen über zutiefst feindliche und unversöhnliche Mächte im Bereich der Politik ist also heute äußerst unmodern. Man setzt vielmehr auf den unaufhaltsamen Fortschritt, auf die neue Zeit, auf die Offenheit nach allen Seiten, auf die gemeinsame Humanisierung, die alle Fronten überspannen und alle Gegner versöhnen soll.

Verzweiflung an der Wahrheit

Nun gilt das aber nicht nur in der Politik, sondern auch auf anderen Gebieten, z.B. im heutigen Philosophiebetrieb. Der Gegensatz zwischen wahr und falsch, ja schon die Fragestellung, ob eine Philosophie oder eine philosophische These wahr oder falsch sei, wird ruhig belächelt.

Auf "ernstzunehmenden" philosophischen Kongressen wird man geradezu als verrückt angesehen, wenn man die Frage stellt, die noch einen Heinrich von Kleist angesichts der Kantschen Erkenntniskritik im Innersten bewegte, ob nämlich diese Philosophie wahr oder falsch sei.

Wie Kleist dann an der Wahrheitsfindung verzweifelte, so glaubte auch Nietzsche, daß durch Kant die Unmöglichkeit der Wahrheitsfindung aufgezeigt worden sei. Doch selbst diese an der Wahrheit verzweifelten Geister waren noch von dem Grundgesetz zwischen wahr und falsch überzeugt.

Heute treffen wir weitgehend auf eine Entthronung dieses Gegensatzes, ja auf ein Verschwinden der Frage nach wahr oder falsch überhaupt. An die Stelle von "wahr" und "falsch" treten Ausdrücke wie "veraltet - fortschrittlich", "naiv - kritisch"; solche Gegensatzpaare ersetzen, auch in der Philosophie, den elementaren erkenntnistheoretischen Gegensatz zwischen wahr und falsch; auf solche Weise glaubt man, die Fronten aufweichen und den geistigen Kampf beenden zu können.

Wer etwa heute noch einen unversöhnlichen Gegensatz zwischen Theismus und Atheismus sieht, wer die Freiheit der Person und des Willens dem Determinismus entgegenstellt und die Anerkennung der Geistseele einer materialistischen Konzeption oder eine realistische Position einer transzendental-philosophischen, und im Ernst glaubt, daß es hier um den unüberbrückbaren Gegensatz von wahr und falsch geht, der wird in vielen Kreisen nicht mehr ernst genommen.

Man glaubt einfach, diesen Urgegensatz in einer "höheren Einheit" versöhnen und auflösen zu können. Man erklärt, daß all diese Gegensätze "dialektisch" aufzuheben seien, wobei kein Mensch genau weiß, was unter diesem Begriff zu verstehen ist, und hält jeden, der eine These als objektiv wahr vertritt, für einen dogmatisch engen Fanatiker, für reaktionär oder einfach naiv.

An die Stelle der Erkenntnis unveränderlicher Wahrheiten tritt die an Hegel orientierte Vorstellung eines Prozesses, in dem sich aus den Gegensätzen, die alle nur verschiedene Aspekte der einen Wahrheit sind, der Geist im Lauf der Geschichte zu immer höheren Phasen fortentwickelt, ohne daß jemals ein letzter bleibender Gegensatz zwischen wahren und falschen Thesen zu statuieren sei.


Fortsetzung folgt

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Über den Philosophen Josef Seifert (geb. 1945) bei wikipedia (bitte HIER klicken!)

(Hervorhebungen durch Administrator)
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