Donnerstag, 24. November 2011

Jedem seine Wahrheit...

Quid est veritas?

Ein (...) charakteristischer Zug der neuen Religiosität ist ihr fehlendes Interesse an der Wahrheit. Die Lehre von Johannes Paul II. in seinen Enzykliken Veritas splendor und Fides et ratio, die selbst von nichtglaubenden Intellektuellen gelobt wurden, scheint mit einigen Ausnahmen in der Kirche selbst kein tiefgreifendes Echo gefunden zu haben – angefangen bei den katholischen Universitäten.

In unserer vom „pensiero debole“ [schwachen Denken] geprägten Kultur rufen starke Überzeugungen häufig Verachtung hervor: Denn statt mit der Absolutheit des Glaubens zu glauben, pflegt sie immer ihre Vorbehalte und hält sich einen Spielraum der Ungewissheit, einen „Notausgang“ offen. So kommt es, dass die Frage nach der Wahrheit des Christentums oder nach der Existenz Gottes vernachlässigt und als unbedeutend und sinnlos betrachtet wird.

Die Frage des Pilatus in Antwort auf die Erklärung Christi gewinnt in diesem Zusammenhang ihre bleibende Aktualität: „Was ist Wahrheit?“ Für viele Menschen hat „Wahrheit“ eine negative Nebenbedeutung und wird mit Begriffen wie „Dogmatismus“, „Intoleranz“, „Zwang“ und „Inquisition“ assoziiert.

Grund dafür sind gewisse historische Momente, in denen die Wahrheit manipuliert wurde, um durch Gewalt Gewissensentscheidungen zu erzwingen, die nichts mit dem Respekt vor der Person und der Suche nach der Wahrheit zu tun hatten.

Tatsächlich ist die Wahrheit im Christentum nicht ein rein theoretischer Gedanke, ein ethisches Urteil oder ein wissenschaftlicher Beweis. Sie ist eine Person mit Namen Jesus Christus, Sohn Gottes und Sohn der hochheiligen Jungfrau Maria. Christus hat sich uns als die Wahrheit gezeigt (Joh 14,6). Wie bereits Tertullian richtig beobachtete, hat Christus gesagt: „Ich bin die Wahrheit“ und nicht: „Ich bin die Tradition (Anm.: besser: Herkommen, Gewohnheit;s.u.)“ (1).

Wenn man heute von der Wahrheit des Evangeliums spricht, muss man sich an der Tatsache messen, dass die Wahrheit in der Armut der Ohnmacht dessen erscheint, der bereit war, am Kreuz zu sterben. In diesem Sinne sind Wahrheit und Liebe untrennbar miteinander verbunden: „In unseren Tagen wird Wahrheit vielfach mit Mehrheit verwechselt. Zudem ist die Überzeugung verbreitet, in bestimmten Fällen Wahrheit und Liebe gegeneinander ausspielen zu müssen. Aber Wahrheit und Liebe sind aufeinander angewiesen.

Schwester Teresia Benedicta ist dafür eine Zeugin: Von keinem ließ sich die ‚Märtyrin aus Liebe’, die ihr Leben für ihre Freunde hingab, in der Liebe übertreffen. Zugleich aber hat sie um die Wahrheit gerungen ... Schwester Teresia Benedicta vom Kreuz sagt uns allen: Akzeptiert nichts als Wahrheit, was ohne Liebe ist. Aber akzeptiert auch nichts als Liebe, was ohne Wahrheit ist! Eines ohne das andere wird zur Lüge, die zerstört.“ (2) So ist „einzig die Liebe des Glaubens würdig“, und die Liebe wird das große Zeichen der Glaubwürdigkeit des Christentums, weil sie von der Wahrheit untrennbar ist.


(1)  "Dominus noster Christus veritatem se, non consuetudinem, cognominavit - Unser Herr Christus hat von sich gesagt: Ich bin die Wahrheit, nicht: Ich bin die Gewohnheit" (Tertullian, De virgin. vel 1,1)
(2)   Aus der Predigt von Papst Johannes Paul II. zur Heiligsprechung Edith Steins am 11.10.1998

aus dem Schlussbericht der Vollversammlung des Papstlichen Rates für die Kultur von Kardinal Paul Poupard (11.-13.März 2004); franz. Original: bitte hier klicken!

 Bild: Sr. Teresia Benedicta (Edith Stein) 

2 Kommentare:

  1. Vielen Dank für das tolle Posting! Ich werde den zentralen Gedanken gleich mal in meinem nächsten Artikel verwursten :)

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