
Allein schon der Bericht von der Botschaft des Engels muß jeden Glaubenden, der richtig liest, genügen; bedeutet sie doch nicht die Mitteilung, der göttliche Ratschluß werde sich an ihr vollziehen, sondern die Frage, ob sie willens sei, daß dies geschehe.
Dieser Augenblick ist ein Abgrund, vor dem einem schwindeln kann, denn hier steht Maria mit ihrer Freiheit in der ersten Entscheidung alles dessen, was Erlösung heißt. Was bedeutet das aber, wenn die Frage: "willst Du helfen, daß der Erlöser komme?" zusammenfällt mit der anderen: "willst Du Mutter werden?"


Wenn wir die ersten Kapitel der Evangelien nicht als Legende ansehen wollen - jeder aber muß sich darüber klar sein, was er in diesem Falle tut: er maßt sich das Urteil darüber an, welche Worte der Schrift Worte Gottes seien und hebt damit grundsätzlich die Offenbarung auf - dann können wir nicht anders, als sagen, daß ihre Erinnerung, ihr Erleben, ihr Wesen hinter den Berichten der Kindheitsgeschichte steht.
Und nicht nur hinter ihnen; denn es kann gar nicht anders sein, als daß sie, die dreißig Jahre lang mit dem Herrn zusammengelebt hatte, nach seinem Hingang von ihm sprach. Welche Wirkung ihre Erzählungen und damit ihr eigenes Erleben auf das Christus-Verständnis und die Christus-Verkündigung überhaupt ausgeübt haben, ist nicht abzusehen."
Romano Guardini in: Der Rosenkranz unserer Lieben Frau; AD 1940 (s. Quellen)
(Fettdruck duch Administrator)
Bilder: von Giotto di Bordone (1266 - 1337) in der Cappella degli Scrovegni (Arenakapelle) in Padua, Italien
oben: Flucht vor Herodes nach Ägypten
Mitte: Beweinung des Leichnams Christi
unten: Himmelfahrt Christi