Samstag, 10. August 2013

Missbräuche und Priesterjahr

Die Missbrauchsfälle an Kindern und Jugendlichen waren im Priesterjahr 2009/2010 in aller Munde, besonders die durch katholische Priester begangenen. Zwar bewegen sie sich quantitativ, verglichen mit der vermuteten Gesamtzahl, in einem eher kleinen Rahmen. Und doch beschäftigten sie die Öffentlichkeit mehr als derartige Vergehen durch Lehrer, Psychotherapeuten oder Sporttrainer.

Das kann man auch verstehen. Denn obgleich die meisten unserer Zeitgenossen keine gläubige Auffassung vom Priestertum haben, betrachten sie dieses eben doch nicht als „Job wie jeden anderen“. Daher wächst dem sexuellen Missbrauch durch den Priester auch in den Augen glaubens- und kirchenfremder Menschen eine weitere, besonders schwerwiegende Dimension zu. Unvergleichlich hoch ist nun einmal der moralische und geistliche Anspruch eines Mannes, der zum „Diener Christi und Verwalter der Geheimnisse Gottes“ (1 Kor 4,1) geweiht wurde und der die heiligsten Handlungen „in persona Christi“ vollzieht. Hat der Bischof nicht seine Hände gesalbt, „auf dass alles, was sie segnen, gesegnet, und was sie weihen, geweiht sei“ (Ritus der Priesterweihe)? So wiegt ein Verbrechen, begangen durch solche Hände, nochmals schwerer. Der fürchterliche Vertrauensbruch, die triebhaft-abartige Ausbeutung eines jungen Menschen, ja oftmals die Zerstörung seines Lebens durch einen Priester ist eine Schandtat, die zum Himmel schreit!

Die berechtigte Entrüstung über die Vorkommnisse wurde durch eine gezielte Aktion der Medien erkennbar verschärft. Deren kirchenfeindliche Absicht war und ist leicht durchschaubar: „Écrasez l’infame! - Macht sie nieder, die Schändliche“, so hatte schon vor gut 250 Jahren der französische Freidenker Voltaire gefordert und damit zum Vernichtungskampf gegen die katholische Kirche aufgerufen. In den Pressebüros des Kommunismus und Nationalsozialismus wurde das Unternehmen getreulich fortgesetzt. Die heutige Medienwelt steht weitgehend in dieser Linie.

Aber kann man es dem Journalistenheer, das sich längst von der Religion entfernt hat und zur Dienerin der öffentlichen Sensationslust geworden ist, ernsthaft verübeln, wenn es sich den Skandal – auch unter Verzerrung vieler Tatsachen – zunutze macht? Das wäre wohl zu hoch vom Berufsethos dieser Leute gedacht (von denen sich einige bekanntermaßen vor nicht allzu langer Zeit selbst noch für einen freieren sexuellen Umgang mit Minderjährigen einsetzten). Außerdem müsste solche Medienkritik fast zwangsläufig als Ablenkungsmanöver aufgefasst werden: Priester missbrauchen Kinder, und ihr Katholiken habt nichts anderes zu tun, als die Berichterstatter zu beschimpfen...

Zu welchen Gedanken aber geben die Vorkommnisse uns Anlass? Wir erinnern uns nicht ohne schmerzliche Empfindung daran, dass die Wellen im „Jahr der Priester“ besonders hoch schlugen. Ausgerechnet! Doch vielleicht liegt in diesem unglücklichen Zusammenfall auch eine heilsame, wenngleich überaus bittere Lehre beschlossen?

Angesichts der Missbrauchsfälle stellt sich unausweichlich die Frage: Wie konnte es dazu kommen? Die verbreitete Antwort, die versucht, die verbrecherische Perversion als giftige Frucht kirchlicher Sexualmoral im allgemeinen und der Zölibatsverpflichtung im besonderen hinzustellen, erweist sich im Blick auf das authentische Lebenszeugnis so vieler vorbildlicher Priester als irrig. Auch anerkanntermaßen unbefangene, nichtkatholische Fachleute haben der Verknüpfung Zölibat-Kindsmissbrauch ihre Berechtigung abgesprochen.

Aber wie steht es in diesem Zusammenhang mit den innerkirchlichen Entwicklungen der zurückliegenden Jahrzehnte; mit jenen Umtrieben, die keinen Glaubenssatz, kein sittliches Gebot und keine disziplinäre Maßnahme der Kirche unbekrittelt und unangetastet ließen? Kann es verwundern, dass die Leugnung der sakramental-übernatürlichen Identität des Priesters, die Entsakralisierung der Kirchen und Gottesdienste, die Umgestaltung der Priesterseminarien in freie Wohngemeinschaften usw. ihre Spuren im Leben der Kleriker hinterlassen hat? Wo die Ausrichtung auf den heiligen Sinn des Berufes, die Vermittlung zwischen Gott und den Menschen in Gebet und Opfer, verlorengeht, da brechen bald andere Mächte ein: „Die verwaisten Altäre sind von Dämonen bewohnt.“ (Ernst Jünger)

Eine kirchliche Besinnung müsste heute wohl Fragen wie diesen nachgehen: Was können wir tun, um unter den Bewerbern für das Priestertum den guten Weizen von der Spreu zu trennen? Welche geistliche und asketische Formung, welches Maß an Strenge und Nüchternheit ist dabei vonnöten, um labile und krankhafte Persönlichkeiten rechtzeitig auszuscheiden? Welche Irrlehren an den Fakultäten, welche Missstände in den Seminaren bedrohen den Glauben und die Sittlichkeit der künftigen Priester? Wie können wir die uns anvertrauten Berufungen besser als bisher zu einem frohen, erfüllten Leben der Hingabe an Gott und des apostolischen Dienstes führen?

Allgemein ist es die Frage, ob die jungen Männer genügend vorbereitet werden auf das, was ihnen der Bischof in der Weiheliturgie auftragen wird: „Bewahret in euren Sitten unversehrt ein keusches und heiliges Leben. Erkennet, was ihr tut, ahmet nach, was ihr verrichtet! Wenn ihr also das Geheimnis des Todes des Herrn feiert, so seid bedacht, in euren Gliedern alle Laster und Lüste zu ertöten. Eure Lehre sei eine geistliche Medizin für das Gottesvolk, der Wohlgeruch eures Lebens eine Erquickung für die Kirche, damit ihr durch Predigt und Vorbild das Haus, das die Familie Gottes ist, erbauet und weder wir dafür, dass wir dieses Amt euch übertragen, noch ihr dafür, dass ihr es übernommen habt, vom Herrn verdammt, sondern vielmehr belohnt zu werden verdient...“

Nein, wir wollen keineswegs behaupten, das gesamte Desaster sei durch die Beantwortung dieser Fragen zu überwinden. Sicher ist aber, dass es sich hier um einen neuralgischen Punkt handelt. Ihn nicht anrühren zu wollen würde bedeuten, die Augen vor den Tatsachen zu verschließen.

P. Bernward Deneke FSSP, Wigratzbad



Hinweise:
- mit freundlicher Genehmigung des Verfassers
- der Beitrag erschien bereits im Schweizerischen Katholischen Sonntagsblatt (SKS)




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