Samstag, 12. Oktober 2013

Die Bedeutung der Philosophie für das Christentum



 Von P. Bernward Deneke FSSP, Wigratzbad 

Wozu noch Philosophie, wo wir doch durch den Glauben über alles letztlich Entscheidende unterrichtet sind? Die Frage ist nicht unerheblich. Sie wird manchmal im Hinblick auf die Studien der angehenden Priester gestellt. Denn diese haben ja, bevor sie sich vorwiegend in die Glaubenswissenschaft, die Theologie, vertiefen, zunächst einen Kurs der Philosophie zu durchlaufen. Philosophie aber bedeutet, sich mittels der Vernunft – und nicht anhand der göttlichen Offenbarung – den wesentlichen Themen zuzuwenden, z.B. dem Sein und der Wahrheit der Dinge, der Natur des Menschen, dem sittlich Guten und nicht zuletzt dem Dasein und Sosein Gottes. 

Weshalb denn, so fragt man, müssen sich die künftigen Geistlichen in ihrer Ausbildung mit den Auffassungen eines Platon und Aristoteles befassen, obwohl uns Jesus längst den Weg gewiesen, die Wahrheit gelehrt und das Leben geschenkt hat – Er, der selbst „Weg, Wahrheit und Leben“ ist (Joh 14,6)? Der heilige Thomas von Aquin stellt einmal fest, nach der christlichen Offenbarung sei der schlichte, ungelehrte, aber gläubige Mensch nun besser über die höchsten und wichtigsten Dinge unterrichtet, als es in vorchristlicher Zeit die größten Denker waren. Eine Bemerkung, die mit dem Wort des Herrn zusammenstimmt: „Ich preise Dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass Du dies vor Weisen und Klugen verborgen, es aber den Unmündigen geoffenbart hast. Ja, Vater, so ist es wohlgefällig vor Dir!“ (Mt 11,25f.) 

Ist es da nicht unnötig, sich nochmals suchend an die bedauernswerten „Weisen und Klugen“ zu wenden? Kann man als Katholik so tun, als hätte man das alle menschliche Vernunft hell überstrahlende Licht des Glaubens nicht empfangen? Und erweisen die Tatsachen solche Studien nicht überdies als gefährlich, da schon viele junge Menschen der Faszination philosophischer Systeme erlegen sind, die mit dem Christentum unvereinbar sind, oder, infiziert durch die alles hinterfragende Skepsis gewisser Philosophen, erheblichen Schaden an ihrer vertrauensfrohen Gläubigkeit genommen haben? Wer die Folgeschäden einer Theologie kennt, welche uns die Offenbarung Gottes im Geiste Kants, Hegels, Heideggers oder Sartres erklären wollte, der wünscht sich wohl eine Ausbildung, die mehr an der herrlichen Aussage des heiligen Bernhard von Clairvaux über die Bücher der Weltweisen ausgerichtet ist: „Sie schmecken mir nicht, weil ich darin nicht den Namen Jesu lese...“ 

Die Antwort auf diese Fragen kann kurz ausfallen: Das Studium der Philosophie ist für die künftigen Verkünder des Gotteswortes nicht nur hilfreich, sondern geradezu notwendig. Das geht aus vielen lehramtlichen Äußerungen insbesondere der letzten 150 Jahre hervor, die sich in der Enzyklika Papst Johannes Pauls II. mit dem bezeichnenden Titel „Fides et ratio - Glaube und Vernunft“ (1998) und in ungezählten Aussagen seines Nachfolgers Benedikt XVI. fortsetzen. Immer hat die Kirche daran festgehalten, dass die christliche Offenbarung keine esoterische, von der sonstigen Wirklichkeit abgetrennte Gedankenwelt ist, zu der es keinen anderen Zugang als eine höhere Erleuchtung, einen blinden Glaubensakt oder ein mysteriöses Einweihungsritual gibt. Vielmehr stammt alle Wahrheit, die diesseitige wie die jenseitige, aus derselben Quelle, nämlich aus Gott. Und folglich kann es keinen Widerspruch zwischen einer gesunden Philosophie und den Inhalten unseres Credo geben. Die Glaubensgeheimnisse sind gewiss übervernünftig, aber niemals unvernünftig. Um das zu erweisen und den Glauben gegen den Vorwurf der Unvernunft zu verteidigen, braucht der Theologe die Philosophie. 

Sie übernimmt Vermittlerdienste, indem sie den menschlichen Geist zu den Grundfragen führt und erste gültige Antworten gibt. Ein Beispiel: Nach biblischer Lehre ist Gottes Dasein eine Wahrheit, die nicht erst durch die Offenbarung, sondern bereits mit der Vernunft einsichtig ist: „Aus der Größe und Schönheit der Geschöpfe wird durch Vergleichung deren Schöpfer erschaut“ (Weish 13,5), dessen unsichtbares Wesen „an Seinen Werken durch die Vernunft erkannt wird“ (Röm 1,20). Indem der Philosoph Wege natürlicher Gotteserkenntnis aufzeigt, geleitet er den Menschen an die Schwelle des Glaubens. Ähnliches spielt sich auf anderen Gebieten ab: Die menschliche Vernunft stellt Fragen, findet erste Antworten und gelangt schließlich, bewegt von der Gnade und belehrt von der christlichen Verkündigung, zur übernatürlichen Erkenntnis. 

Nur eine Einschränkung muss gemacht werden: Nicht alles, was sich als „Philosophie“ ausgibt, ist für dieses Unternehmen geeignet. Es bedarf einer Philosophie, die tatsächlich „Liebe zur Weisheit“ (so die Übersetzung des griechischen Wortes) ist; die sich der Wirklichkeit staunend zuwendet und sie ehrfürchtig ausdrückt, anstatt sie den eigenen Vorstellungen oder zeitgeistigen Ideologien zu unterwerfen. Daher verweist das kirchliche Lehramt immer wieder auf das Vorbild des heiligen Thomas von Aquin. Hätte man das in den letzten Jahrzehnten beherzigt, das Philosophiestudium der künftigen Theologen wäre ganz unproblematisch.


Hinweise:
- mit freundlicher Genehmigung des Verfassers
- der Beitrag erschien bereits im Schweizerischen Katholischen Sonntagsblatt (SKS)

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