Montag, 15. April 2013

Das Eigentliche - die Achse der Welt: Das Kreuz

Der Gekreuzigte ist die wahre Weisheit (5)

Fortsetzung von hier
 
Damit kommen wir zu einem letzten Punkt in der Lesung, der uns auch wieder zum Evangelium zurückführt. Was erkennen wir in der Erkenntnis, die aus Glaube und Liebe hervorwächst? Letzten Endes möchten wir immer das Ganze erkennen - das, "was die Welt im Innersten zusammenhält"; das, worauf es ankommt im Leben und im Sterben.

Wir wissen viele Details, aber je mehr Einzelheiten wir wissen, desto weniger wissen wir von dem, was Weisheit will, was wir alle wollen: das Eigentliche zu erkennen, den inneren Zusammenhang, die Ganzheit des Wirklichen.

Paulus gebraucht hier eine merkwürdige Formel, die er vielleicht einer schon vorhandenen Tradition entnommen, aber ganz von Christus her gedeutet hat. Wer dem inneren Menschen nach reif wird, erkennt die Breite und Länge, die Höhe und Tiefe. Das will sagen: Er erkennt alle Dimensionen der Wirklichkeit.

Aber bei Paulus ist dieses Wort von Breite und Länge, von Höhe und Tiefe ein Hinweis auf das Kreuz Christi, auf die vier Balken des Holzes, an dem er ausgespannt war. Das bedeutet: Wer das Kreuz erkennt, den Gekreuzigten, der hat das Ganze erkannt. Der hat die eigentliche Achse der Welt erfasst, das, was alles trägt und zusammenhält; das Eigentliche, worum es geht.

Das Kreuz ist die Antwort. Der Gekreuzigte ist die wahre Weisheit. Und so fügt denn auch Paulus erklärend hinzu: Zuletzt mündet die Erkenntnis in der Liebe Christi, die größer ist als alles Erkennen. Lieben ist mehr als Erkennen. Das Auge der Liebe reicht weiter als da Auge des Verstandes. Denn Gott ist die Liebe, und nur im Mitlieben erkennen wir ihn.

Das Kreuz aber ist Gottes Mitlieben mit uns und für uns - die wahre Weltformel. Erkenntnis, die nicht in die Demut des Kreuzes mündet, geht am Wesentlichen vorbei.

So sind wir wieder beim Evangelium vom letzten Platz angelangt: Der Sohn Gottes, er, der wahrhaft der Erste ist, hat den letzten Platz in Gastmahl der Schöpfung eingenommen: das Kreuz.

Diese Demut Gottes ist es, die unseren Hochmut umwirft und unsere Krankheit heilt. Die Kraft dieser Demut und der in ihr verborgenen Liebe ist es, durch die Christus den Wassersüchtigen - uns alle  - bei der Hand nimmt und uns heilt. Christi Heilen ist nicht Vergangenheit, sondern im Sakrament der Buße nimmt er uns bei der Hand und heilt uns durch das Wort der Vergebung.

In der heiligen Eucharistie ist sein Kreuz in unserer Mitte. Er richtet immer neu seinen Sabbat auf, um uns alle an sich zu ziehen (Joh 12,32) und mit den Armen seiner Liebe zu heilen. Eucharistie feiern bedeutet: in das gegenwärtige Geheimnis des Kreuzes hineintreten, sich in die Arme Christi hineingeben und ihn bitten, dass er uns und die ganze Welt in diese seine Arme hineinnehme und heile.

Eucharistie feiern heißt deshalb auch: das Geheimnis des Kreuzes selber leben. Deshalb kann Augustinus in seiner Meditation über Breite und Länge, Höhe und Tiefe sagen: Lata est quippe in transverso ligno, quo extenduntur pendentis manus, et significat opera bona in latitudine caritatis: Die Breite ist der Querbalken des Kreuzes, wo die Hände des Gekreuzigten ausgebreitet sind; sie bedeutet die in die Breite der Liebe ausgeführten guten Werke (Vorträge über das Johannes-Evangelium 118,5).

Wie zeigen dem gekreuzigten Herrn unsere Liebe in der Ehrfurcht, mit der wir Eucharistie feiern. Wir feiern nicht uns selbst, sondern Ihn, und darum suchen wir nicht Rollen und nicht Selbstverwirklichung in der Eucharistie. Die  demütige und liebende Einfügung in den Lobpreis, den der Glaube der Kirche in den Jahrhunderten gewoben hat, ist Ausdruck  unserer Ehrfurcht und unserer Liebe.

Wir suchen nicht den ersten Platz, sondern wir bitten ihn, dass er unter uns der Erste sei und uns lehre, seine Demut zu lieben, mit der er uns die Füße wäscht, mit der er sich in unsere Hände gibt. Diese Ehrfurcht der heiligen Liturgie muss zugleich Schule unseres Lebens sein, die Schule der Demut, des Glaubens und der Liebe, durch die der Herr uns und die Welt gesund machen will. Amen.



Joseph Kardinal Ratzinger in einer Predigt vom 24.09.1995 in der Benediktinerabtei Sainte-Madeleine in Le Barroux anlässlich eines feierlichen Pontifikalamtes im alten Ritus (Teil 1, 2, 3, 4)




Bild: Salus mundi - Das Heil der Welt; Detail aus dem Apsismosaik in der Basilika St. Apollinaris in Classe; wikipedia

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