Sonntag, 27. Januar 2013

Um einen unvergänglichen Siegeskranz


Wisst ihr nicht, dass die Läufer im Stadion zwar alle laufen, aber dass nur einer den Siegespreis gewinnt? Lauft so, dass ihr ihn gewinnt.

(1 Kor 9,24)



Nichts ist klarer in der Schrift ausgedrückt und an sich bemerkenswerter als die Tatsache, dass zu allen Zeiten aus der ganzen Zahl derer, die mit Gnadenmitteln gesegnet wurden, nur wenige den entsprechenden Nutzen aus diesem großen Geschenk gezogen haben. So gewiss, so gleichförmig vertreten finden wir diese Tatsache, dass sie nahezu Lehrgut geworden ist.

"Viele sind berufen, wenige aber auserwählt" (Mt 20,16). Ferner heißt es: "Bemühet euch, einzugehen durch die enge Pforte; denn ich sage euch, viele werden versuchen einzugehen, und es nicht vermögen" (Lk 13,24). Und wiederum: "Weit ist das Tor und breit der Weg, der zum Verderben führt, und viele sind es, die ihn gehen... Eng ist die Pforte und schmal ist der Weg, der zum Leben führt, und wenige sind es, die ihn finden" (Mt 7,13.14). (...)

Diese Tatsache ist so klar, dass Leute, die aus Widerwillen gegen den schmalen Weg oder aus einer anderen Ursache sie bezweifelten, kaum irgendetwas ins Feld führen können außer gewissen falschen Ansichten und Folgerungen, die für die Lehre herangezogen worden sind oder werden können. (...)

[Es ist] oft vorgekommen, dass ernste Menschen die Meinung vertreten haben, wenn der Auserwählten wenige seien, so sei dies die Folge eines feststehenden göttlichen Ratschlusses. Sie haben geglaubt, es seien wenige, weil Gottes Wille darnach stehe, dass es nicht viele seien.

Es ist nun zweifellos ein großes Geheimnis, warum dieser die Wahrheit annimmt und darnach handelt, jener aber nicht. Wir wissen nicht, wie das kommt; aber sicher führt es zu keiner Lösung, wenn man behauptet, Gott habe es so bestimmt.

Wenn man sagt, dass Gott unbedingt die einen erwählt und die anderen verwirft, dann wird eben diese Sache zum Geheimnis. Man drängt es aber nur um einen Schritt zurück. Es ist ebenso schwierig, dieses unbedingte Wollen oder Nichtwollen auf Seiten Gottes zu erklären, wie dem Dasein eines freien Willens im Menschen Rechnung zu tragen. Es ist genauso unerklärbar, warum Gott verschieden gegen diesen oder jenen Menschen vorgehen soll, wie es unerklärbar ist, warum dieser oder jener verschieden sich gegen Gott verhalten soll.

Andererseits wird uns in der Schrift nachdrücklich versichert, dass Gott "nicht den Tod des Gottlosen wolle" (Ez 33,11); dass Er "nicht will, dass einer verloren gehe, sondern, dass sich alle zur Buße wenden" (2 Petr 3,9).

Die Lehre also, die im Vorspruch (s.o. 1 Kor 9,24) enthalten ist, führt uns zu keiner Vorstellung von einem strengen Gott. Er ist immer noch ein liebender Vater, wenn auch nur wenige auserwählt sind. Seine Huld übertrifft alle seine Werke, und zu keinem Menschen kommt das Wort des Lebens anders als mit der Absicht, dass er lebe. Wenn die Vielen im Unglauben verharren, so ist es nicht die Liebe Gottes, die sie "einengt", sondern sie sind "eingeengt in ihrem eigenen Herzen" [2 Kor 6,12].

Der Mensch will nicht sein, was er durch Gottes erneuernde und helfende Gnade sein könnte. Es ist Menschenwerk, nicht göttlicher Wille, dass die unsichtbare Kirche klein, die sichtbare dagegen groß ist.


John Henry Kardinal Newman: Predigten, Bd. 5; Sarto Verlag Stuttgart; S. 289ff, Predigt zum Sonntag Septuagesima, dem ersten Sonntag der Vorfastenzeit



Foto: Victoria, Freiburg; ©FW

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