Sonntag, 13. April 2014

Benedictus qui venit in nomine Domini! Hosanna! - Hochgelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn! Hosanna!

Um zu verstehen, was am Palmsonntag geschehen ist, und um zu erkennen, was er über jene Stunde hinaus für alle Zeiten bedeutet, erweist sich ein Detail als wichtig, das auch für seine Jünger der Schlüssel zum Verständnis dieses Ereignisses wurde, als sie nach Ostern jene Tage, die von Aufregung gekennzeichnet waren, mit einem neuen Blick noch einmal an sich vorüberziehen ließen. Jesus zieht in die Heilige Stadt ein, auf einem Esel reitend, das heißt auf dem Tier der einfachen, gewöhnlichen Leute vom Land, und noch dazu auf einem Esel, der ihm nicht einmal gehört, sondern den er sich für diese Gelegenheit ausleiht. Er kommt nicht in einer prunkvollen Königskutsche, nicht zu Pferd wie die Großen der Welt, sondern auf einem geliehenen Esel.

Johannes berichtet uns, daß die Jünger das im ersten Augenblick nicht verstanden haben. Erst nach Ostern bemerkten sie, daß Jesus, indem er so handelte, die Ankündigungen der Propheten erfüllte; sie verstanden nun, daß sein Tun sich aus dem Wort Gottes herleitete und daß er es zu seiner Erfüllung brachte. Sie erinnerten sich, sagt Johannes, daß beim Propheten Sacharja zu lesen ist: "Fürchte dich nicht, Tochter Zion! Siehe, dein König kommt; er sitzt auf dem Fohlen einer Eselin" (Joh 12,15; vgl. Sach 9,9). Um die Bedeutung der Prophezeiung und damit des Handelns Jesu zu verstehen, müssen wir den ganzen Text im Buch des Propheten Sacharja hören, der so fortfährt: "Ich vernichte die Streitwagen aus Efraim und die Rosse aus Jerusalem, vernichtet wird der Kriegsbogen. Er verkündet für die Völker den Frieden; seine Herrschaft reicht von Meer zu Meer und vom Eufrat bis an die Enden der Erde" (Sach 9,10). Damit sagt der Prophet drei Dinge über den künftigen König. 

Als erstes sagt er, daß er der König der Armen sein wird, ein Armer unter den Armen und für die Armen. Die Armut wird in diesem Fall im Sinn der anawim Israels verstanden, jener gläubigen und demütigen Seelen, die wir in der Nähe Jesu antreffen – aus der Perspektive der ersten Seligpreisung der Bergpredigt. Man kann zwar in materieller Hinsicht arm sein, aber ein Herz haben, das von dem begehrlichen Verlangen nach materiellem Reichtum erfüllt ist und nach Macht, die auf dem Reichtum beruht. Gerade die Tatsache, daß ein solcher Mensch in Neid und Habgier lebt, zeigt, daß er in seinem Herzen zu den Reichen gehört. Er wünscht sich, die Verteilung der Güter umzustürzen, aber nur um selbst in die Stellung der ehemaligen Reichen zu gelangen.

Die Armut im Sinne Jesu – und im Sinne der Propheten – setzt vor allem die innere Freiheit von der Gier nach Besitz und Macht voraus. Es geht um eine größere Wirklichkeit als bloß um eine Umverteilung der Güter, die doch im materiellen Bereich stehen bliebe, ja, die Herzen noch härter machen würde. Es geht vor allem um die Reinigung des Herzens, dank der man den Besitz als Verantwortung, als Aufgabe gegenüber den anderen anerkennt, indem man sich unter Gottes Blick stellt und sich von Christus führen läßt, der reich war und um unsertwegen arm geworden ist (vgl. 2 Kor 8,9). Die innere Freiheit ist die Voraussetzung für die Überwindung der Korruption und der Habgier, die bereits die Welt verwüsten; eine derartige Freiheit kann nur gefunden werden, wenn Gott unser Reichtum wird; sie kann nur im geduldigen täglichen Verzicht gefunden werden, durch den sie sich als wahre Freiheit entfaltet. Dem König, der uns den Weg zu diesem Ziel weist – Jesus –, jubeln wir am Palmsonntag zu; ihn bitten wir, uns mit auf seinen Weg zu nehmen. 

Als zweites zeigt uns der Prophet, daß dieser König ein König des Friedens sein wird: Er wird die Streitwagen und Schlachtrösser verschwinden lassen, er wird die Bögen zerbrechen und den Frieden verkünden. In der Gestalt Jesu wird das im Zeichen des Kreuzes Wirklichkeit. Das Kreuz ist der zerbrochene Bogen, in gewisser Weise der neue, wahre Regenbogen Gottes, der den Himmel und die Erde miteinander verbindet und eine Brücke über die Abgründe und zwischen den Kontinenten schlägt.

Die neue Waffe, die uns Jesus in die Hände gibt, ist das Kreuz – Zeichen der Versöhnung, der Vergebung, Zeichen der Liebe, die stärker ist als der Tod. Jedesmal, wenn wir uns bekreuzigen, müssen wir uns daran erinnern, der Ungerechtigkeit nicht andere Ungerechtigkeit, der Gewalt nicht andere Gewalt entgegenzusetzen; wir müssen uns daran erinnern, daß wir das Böse nur durch das Gute besiegen können und niemals durch Vergeltung des Bösen mit Bösem. 

Die dritte Aussage des Propheten ist die Ankündigung der Universalität. Sacharja sagt, das Reich des Königs des Friedens "reicht von Meer zu Meer … bis an die Enden der Erde". Die alte, an Abraham und die Väter ergangene Verheißung des Landes wird hier durch eine neue Vision ersetzt: Der Raum des messianischen Königs ist nicht mehr ein bestimmtes Land, das sich notwendigerweise von den anderen trennen und dann unvermeidlich auch gegen andere Länder Stellung beziehen würde. Sein Land ist die Erde, die ganze Welt. Indem er jede Abgrenzung überwindet, schafft er in der Mannigfaltigkeit der Kulturen Einheit.

Wenn wir mit dem Blick die Wolken der Geschichte durchdringen, die den Propheten von Jesus trennten, sehen wir in dieser Prophezeiung wie von ferne das Netz der "eucharistischen Gemeinschaften" auftauchen, das die Erde, die ganze Welt umfängt – ein Netz von Gemeinschaften, die das "Reich des Friedens" Jesu von Meer zu Meer bis an die Enden der Erde bilden. Er kommt überall, in alle Kulturen und in alle Teile der Welt, in die ärmlichen Hütten und notleidenden ländlichen Gebiete ebenso wie in die Pracht der Kathedralen. Überall ist er derselbe, der einzige, und so sind auch alle, die sich in der Gemeinschaft mit ihm zum Gebet versammeln, miteinander in einem einzigen Leib vereint. Christus herrscht, indem er sich selbst zu unserem Brot macht und sich uns schenkt. Auf diese Weise errichtet er sein Reich. 

Dieser Zusammenhang wird in dem anderen alttestamentlichen Wort, das die Liturgie des Palmsonntags und seine besondere Atmosphäre charakterisiert und erklärt, ganz deutlich. Die Menge jubelt Jesus zu: "Hosanna! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn!" (Mk 11,9; Ps 118,26f). Dieses Wort ist Teil des Ritus des Laubhüttenfestes, bei dem sich die Gläubigen mit Palm-, Myrten- und Weidenzweigen in den Händen im Kreis um den Altar herumbewegen.

Jetzt erhebt das Volk, mit Palmzweigen in der Hand, diesen Ruf zu Jesus, in dem es denjenigen sieht, der im Namen des Herrn kommt: Dieser Ausdruck "er, der kommt im Namen des Herrn", war nämlich seit langem zur Bezeichnung des Messias geworden. In Jesus erkennen sie den, der wirklich im Namen des Herrn kommt und die Gegenwart Gottes mitten unter sie bringt. Dieser Hoffnungsruf Israels, diese jubelnde Akklamation Jesu bei seinem Einzug in Jerusalem ist in der Kirche mit gutem Grund zur Akklamation desjenigen geworden, der uns in der Eucharistie auf neue Weise entgegenkommt.

Mit dem Ruf "Hosanna!" grüßen wir den, der in Fleisch und Blut die Herrlichkeit Gottes auf die Erde gebracht hat. Wir grüßen den, der gekommen ist und dennoch immer derjenige bleibt, der kommen soll. Wir grüßen den, der in der Eucharistie immer wieder im Namen des Herrn zu uns kommt und so im Frieden Gottes die Grenzen der Erde verbindet. Diese Erfahrung der Universalität gehört wesentlich zur Eucharistie. Da der Herr kommt, treten wir aus unseren exklusiven Parteilichkeiten heraus und in die große Gemeinschaft all derer ein, die dieses heilige Sakrament feiern. Wir treten in sein Reich des Friedens ein und grüßen in Ihm in gewisser Weise auch alle unsere Brüder und Schwestern, zu denen er kommt, um in dieser zerrissenen Welt wirklich ein Reich des Friedens entstehen zu lassen. 


Papst Benedikt XVI. am 09.04.2006, in seiner Predigt zum Palmsonntag


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