Samstag, 3. November 2012

Im Friedwald


Von P. Bernward Deneke FSSP, Wigratzbad

Es liegt eine ruhige und beruhigende Atmosphäre über dem Friedwald, den ich an einem spätsommerlichen Sonntagnachmittag besuche. Von der weit unten gelegenen Straße her ist zwar das Aufheulen mancher Motoren zu vernehmen, und auch die kleinen Flugzeuge auf ihren Rundflügen über die malerische Gegend kann man nicht überhören. Insgesamt aber herrscht das Gefühl vor, weit entfernt vom lärmenden Leben der Stadt zu sein. Der Waldboden ist gepflegter, als man es sonst kennt, und die Bäume ragen frei hinauf in den blauen Himmel. Fast möchte man mit dem entzückten Petrus auf Tabor sprechen: „Hier ist es gut sein, hier lasst uns Hütten bauen!“ (vgl. Mt 17,4) 

Tatsächlich gibt es Menschen, die diesen Gedanken weiterverfolgen. Bis über ihren Tod hinaus. Denn: Was ist ein Friedwald? „Eine alternative Form der Bestattung“, liest man in einer Broschüre. „Die Asche Verstorbener wird in einer biologisch abbaubaren Urne beigesetzt, mitten in der Natur, an den Wurzeln eines Baumes. So eröffnet sich eine natürliche und würdevolle Alternative zu den bislang gewohnten Bestattungsorten. Die Grabpflege übernimmt im Friedwald die Natur.“ 

Und eine Informationstafel, am Parkplatz des Friedwaldes angebracht, lädt dazu ein, Kontakt mit dem zuständigen Förster aufzunehmen. Er begleite die Besucher gerne und helfe ihnen bei der Auswahl des Platzes. Wer sich frühzeitig für einen Baum entscheide, könne möglicherweise dessen Wachstum jahrzehntelang beobachten, bevor er dann bei ihm seinen letzten Ruheort finde.

Manchem Leser mag da ein Kurzdialog einfallen, der früher unter Katholiken gerne erzählt wurde: „Sonntags gehe ich in den Wald, da bin ich Gott am nächsten.“ – „Dann lasse dich aber bitte auch vom Förster beerdigen!“ Was ehedem als heitere, doch absurde Antwort gemeint war, ist inzwischen gar nicht mehr abwegig. Denn es wächst die Zahl der Menschen, die nicht im Erdreich des Friedhofs unter einem Stein begraben werden wollen, sondern im Friedwald an der Wurzel eines Baumes. Unter Regie des Försters. 

Bewegt sie dazu in erster Linie die freundliche Rücksichtnahme auf Verwandte, die wegen ihres Alters, ihrer finanziellen Lage oder weiter Entfernung nicht mit der Sorge für das Grab belastet werden sollen? Es ist ja so praktisch, die Grabpflege einfach „der Natur“ zu überlassen! Oder wachsen solche Erwägungen nicht erst auf einem bestimmten geistigen Boden, der zuvor gründlich von christlichen Elementen befreit wurde? 

Bekanntlich geht allen Formen der „Naturbestattung“ (an Bäumen, auf Wiesen, in Felsen, in Gewässern und in der Luft) jeweils die Leichenverbrennung und Einäscherung voraus. Damit aber setzt man sich deutlich von der jüdisch-christlichen Tradition ab, die im Gegensatz zu anderen Religionen und Kulturen stets an der Erdbestattung des unzerstörten Leichnams festhielt. Gläubige Christen stehen nach wie vor dazu, denn sie achten den Leib des getauften Menschen als „Tempel des Heiligen Geistes“ (1 Kor 6,19) und erhoffen für ihn in der künftigen Welt Teilhabe an der Auferstehungsherrlichkeit Jesu (vgl. 1 Kor 15,35 ff.). Wie der schwere Stein von der Grabeshöhle des Herrn, so soll auch der Stein an der Ruhestätte des Verstorbenen eines Tages weggewälzt werden.

Der Friedwald hingegen legt andere Ideen nahe. „Ich liebe die Natur und will dann nach meinem Tod ganz in ihr aufgehen“, sagt ein Anwärter auf ein Urnengrab im Wald. Was er mit dem „Ganz-in-der-Natur-Aufgehen“ meint, ob er es nur materiell oder auch ein wenig esoterisch versteht, bleibt unausgesprochen. Vielleicht will er mit seinem Geist in dem Baum fortleben? Für den phantasiebegabten Menschen übertrifft diese Vorstellung alle Friedhof-Schauerromantik. Ja, wie wäre es denn, zu mitternächtlicher Stunde einen Friedwald zu durchwandern, in dessen Stämmen, Ästen, Blättern die Seelen Verstorbener hausen… 

Glücklicherweise fällt mein Besuch dieser Stätte nicht in finstere Nacht, sondern auf einen sonnenvergoldeten Nachmittag. Dennoch sind die Überlegungen, die sich aufdrängen, einigermaßen trüb: Wo ist sie geblieben, die christlich-gläubige Sicht von Tod und Jenseits, die sehnsüchtige Erwartung der Auferstehung der Seele und des Leibes, die Hoffnung, einmal „ganz beim Herrn zu sein“ (1 Thess 4,17)? Bei wie vielen wird der Menschensohn am Tag seiner Wiederkunft diesen Glauben wohl noch finden (vgl. Lk 18,8)? Mit einem segnenden Kreuzzeichen verlasse ich den Friedwald – Requiescant in pace!


Hinweise:
- mit freundlicher Genehmigung des Verfassers
- der Beitrag erschien bereits im Schweizerischen Katholischen Sonntagsblatt (SKS)


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3 Kommentare:

  1. Weiss der verehrte Pater auch eine Alternative? Wieviele Friedhöfe oder Gemeinden bieten eine Bestattung für Alleinstehende an, deren Zahl täglich wächst oder einen Bereich im Friedhof, wo vielleicht nicht das einzelne Grab bezeichnet wird aber wenigstens die Namen zB in Form einer kleinen Plakette irgendwo angebracht werden? Ich bin auch gegen die völlig anonyme Bestattung, aber ich sehe bis auf wenige Ausnahmen nicht, dass sich die Kirche um eine Alternative bemüht.

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    1. In der Tat wäre das ein Aufgabenfeld, dem sich die Gemeinden stellen müssten. Kardinal Marx von München sieht darin eine weitere Chance der Neu-Evangelisierung der Gesellschaft:

      http://www.kath.net/detail.php?id=38710

      Der Erzbischof begrüßte Initiativen, die dafür sorgten, dass Verstorbene nicht alleine beerdigt werden müssten. „Das sind wichtige pastorale Initiativen, die wir ergreifen müssen, um ein Zeichen zu setzen gegen die Anonymisierung und Vereinzelung“, so Kardinal Marx: „Das wäre ein Zeichen für die ganze Stadt, wenn deutlich würde: In dieser Stadt München wird niemand, der katholisch ist, alleine bestattet.“
      und weiter:
      „Ich bin überzeugt, dass gerade im Umgang mit Sterben und Tod deutlich werden könnte, was neue Evangelisierung bedeutet. Denn da zeigt sich, ob wir uns einfach nur von der Zeit prägen lassen, oder ob wir umgekehrt die Kraft aufbringen können, als Kirche, als gläubiges Volk, die Zeit zu prägen, der Zeit ein Zeichen zu setzen. Das erst wäre Evangelisierung im tiefsten Sinne des Wortes.“

      Ich habe selbst erlebt, wie eine alleinstehende sich gottgeweihthabende Frau auf Geheiß eines weit entfernten Verwandten anonym bestattet wurde, obwohl es zahlreiche Bekannte gab, die das gerne verhindert hätten und auch zur Grabpflege bereit gewesen wären.
      Sie wurde auf einer Wiese am Rande des Friedhofs beigesetzt und inzwischen ist diese Stelle durch nichts mehr erkennbar. Die Friedhofsgärtner waren angewiesen, von ehemaligen Weggefährten hinterlassene Blumen, Kerzen u.ä. zu entsorgen, sodass man diese Gewohnheit bald aufgab.
      Ich finde soetwas sehr traurig. Natürlich wird die gute Seele dennoch ihren Lohn im Himmel erhalten haben. Aber das Gedenken an sie, das Gebet FÜR sie und das fürbittende Gebet VON ihr wird durch die Anonymität leider unterbunden.



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  2. Was den Friedwald betrifft, spielt der nicht mehr vorhandenen christliche Glaube sicherlich eine große Rolle. Mir scheint, da kommen vorchristliche Einstellungen wieder zum Vorschein und man will sich gezielt vom Christentum abgrenzen: die Liebe der Germanen zum Wald. Soweit ich informiert bin, gibt es den Friedwald bisher auch nur in Deutschland.

    Ich lese gern die Todesanzeigen in den Zeitungen, sowohl in Deutschland als auch in Spanien, da ich da öfter bin. Da kann viel über die Familien und über die religiösen Einstellungen der Leute erfahren. In D fiel mir seit einigen Jahren auf, zumindest in meiner Gegend, dass die Feuerbestattungen mehr als 50% betragen mit steigender Tendenz. Anlässlich einer Beerdigung in der Familie war ich mit beim Bestatter und habe festgestellt, dass Erdbestattungen doppelt bis 3mal so teuer sind als Feuerbestattungen. Über den Preis können also die Städte und Gemeinden die Leute zwingen oder dazu drängen sich verbrennen zu lassen, auch wenn sie an die Auferstehung glauben.

    @ Gabriele
    Es gibt auf den Friedhöfen sogenannte Urnenwände, wo die Urne in eine Nische gestellt und das ganze mit eine Platte mit Namen verschlossen wird. Auch bei einer Erdbestattung kann man das Grab mit einer Platte abdecken lassen, so dass keine Grabpflege anfällt.







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