Samstag, 3. Dezember 2011

Tradition und Dankbarkeit


von P. Bernward Deneke FSSP

Undank ist der Welt Lohn. Von den zehn geheilten Aussätzigen kehrt nur ein einziger zurück, dem Herrn zu danken (Lk 17,11 ff.). Doch sieht es unter denen, die in der Welt, aber nicht von der Welt sind (vgl. Joh 17,14), unter den gläubigen Christen, denn besser aus? Wo bleibt der Dank derer, die mit dem Glauben und den Geboten, der Gotteskindschaft und der Sündenvergebung, dem Opfer des Altares und dem Leib Christi, mit der Salbung des Heiligen Geistes und dem Segen des Dreieinen beschenkt wurden?

Vere dignum et iustum est... - In Wahrheit ist es würdig und recht, angemessen und heilsam, Dir immer und überall Dank zu sagen“, heben die Präfationen der heiligen Messe an. Die Wirklichkeit jedoch will mit solchen frommen Wünschen oft nicht zusammenstimmen.

„Danken“ kommt von „denken“. Dankbar ist, wer das Gute, das ihm zuteil wurde, nicht der Gedankenlosigkeit übergibt und dem Vergessen anheimfallen lässt. Wer es sich stattdessen bewusst und gezielt gegenwärtig hält, um seiner Erinnerung daran gegenüber dem Wohltäter Ausdruck zu verleihen. Je schnellebiger, reizüberfluteter und oberflächlicher eine Zeit, desto notwendiger wird die Bemühung, Wichtiges und Wesenhaftes wie kostbares Treibgut aus dem vorüberfliessenden Strom zu retten. Zwar tragen solche Güter in sich die Gewähr, niemals ganz abhanden zu kommen. Aber die Erfahrung lehrt, dass sie sich in der Erinnerung einzelner und auch ganzer Gemeinschaften durchaus verflüchtigen können und schliesslich für eine beträchtliche Zahl von Menschen unwiederbringlich verloren gehen.

Die Dankbarkeit setzt daher eine Kultur des Gedächtnisses voraus. Nirgendwo liegt eine solche in vollkommener und lebendigerer Gestalt vor als in der kirchlichen Tradition. Hier wird nicht nur die Erinnerung an die Grosstaten, die Gott einmal für uns gewirkt hat, weitergegeben zu stetem Gedenken; vielmehr finden diese Ereignisse selbst eine wirkliche und wirksame Vergegenwärtigung in der liturgischen Feier. Man hat in der Theologie ausführlich darüber gestritten, wie die Mysterien der Erlösung im Kult der Kirche wiedererstehen. Wichtiger ist in unserem Zusammenhang, dass es sich in Wahrheit so verhält.

Allen anderen Heilsereignissen voran findet hier das Pascha des Neuen Bundes seine Vergegenwärtigung. Geheimnisvollerweise erneuert sich auf unseren Altären die Schlachtung des Paschalammes Jesus Christus, um Gott zu verherrlichen, uns zu erlösen und hinüberzugeleiten in das Gelobte Land des Himmels. Der Ausdruck „Pascha“ läßt aber bereits erkennen, dass auch der entsprechende Vorgang des Alten Bundes und der daran anknüpfende Ritus der Juden im Kult der Kirche weiterleben.

Und so könnten wir nun das Reich der göttlichen Offenbarung seiner Länge und Breite nach durchwandern, von der Schöpfung und der Patriarchenzeit ausgehend und über die Stationen des Erdenwandels Jesu bis zu den Verheissungen für den Jüngsten Tag vorstossend: Zu allem würden wir im Schatz der heiligen Liturgie eine Entsprechung finden, die nicht nur toter Buchstabenglaube, sondern lebendige Gegenwart ist.

Bedenken wir das näher, so wächst dem Ausdruck „Tradition“ eine neue Dimension der Bedeutung zu. Kirchliche Tradition ist uns dann mehr als nur Weitergabe von Glaubens- und Sittenlehren, von bestimmten Zeremonien, disziplinären Anordnungen und sonstigen Gepflogenheiten (obwohl sie das alles tatsächlich enthält). Kirchliche Tradition ist darüber hinaus eine ständige, sich in Tat und Wahrheit vollziehende Wiedererinnerung an das Grosse, das der Mächtige an uns getan, dessen Name heilig ist (Lk 1,49). Und somit eine einzige Aufforderung an uns, darauf mit dem Magnificat unseres Lebens zu antworten.

In der kirchlichen Gegenwart erkennen wir leicht, wie der oft radikale Traditionsbruch mit erschreckender Gedankenlosigkeit und somit treulosen Undank verbunden ist. Wie sollte es auch anders sein, da Tradition und Dankbarkeit doch wesentlich zusammengehören! „Traditionsbewusster Katholik“ ist im Grunde gleichbedeutend mit „dankbarer Katholik“. Daraus ergibt sich wie von selbst die Auffordernung, den Auf- und Anruf unserer Präfationen zu beherzigen: 

„In Wahrheit ist es würdig und recht, Dir immer und überall Dank zu sagen.“ 



Hinweise:
- mit freundlicher Genehmigung des Verfassers
- der Beitrag erschien bereits im Schweizerischen Katholischen Sonntagsblatt (SKS)
 
 

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