Dienstag, 17. Juni 2014

In dieser Zeit wird mancher weichen und nicht zur ersten Liebe stehn...



In dieser Zeit wird mancher weichen
und nicht zur ersten Liebe stehn.
Da werdet ihr des Tieres Zeichen
auf reingeglaubten Stirnen sehn.

Da werden Brüder sich verkaufen,
und unter Gatten ist Verrat.
Die losgebundnen Mörderhaufen
führt im Triumph der Apostat.

Da werden Fluten sich ergießen,
die Elemente sind verstört.
Da werden Feuerbäche fließen,
und alle Tiefe steht empört.

In Asche lösen sich die Mauern,
Basteien sind wie Spreu verjagt,
und nur der Fels wird überdauern,
von dem Matthäus uns gesagt.

Die Raschen werden nicht entrinnen,
noch wer in Schacht und Höhle steigt.
Den Schwangern und den Säugerinnen
ist viele Trübsal angezeigt.

Die Zeit ist reif, das Messer steche
in die verhüllte Schwäre ein,
die feige Sehnsucht unsrer Schwäche:
Zugleich zwei Herren dienstbar sein!

Erwählen mußt du, mußt verwerfen,
Geist wider Geist, Hand wider Hand!
Um den verhangnen Blick zu schärfen,
sind große Zeichen uns gesandt.

Weh jenem, der in solchen Tagen
Unangefochtenheit begehrt!
Der Helm ist Jedem aufgetragen,
und auch der Schwache ist bewehrt.

Wenn die Gewaltigen sich beugen
und niemand mehr den Abfall zählt,
seid ihr Verborgenen zu Zeugen,
seid ihr Geringen auserwählt.

Die Horcher stehn vor allen Türen,
der Schweigende bleibt nicht geschont.
Gebunden werden sie euch führen,
und der euch peinigt, wird belohnt.
Inmitten eurer eignen Wände
seid ihr Verfolgte und verhöhnt.
Wer aber ausharrt bis ans Ende,
wird überwesentlich gekrönt.

Kein Hauch der Treue geht verloren.
Der Richter wertet ihn gerecht.
Aus Flammen seid ihr neu geboren
und Gottes königlich Geschlecht.

Werner Bergengrün
aus "Dies irae, 1944

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