Mittwoch, 8. August 2012

Durch Gewissensbildung zur Gewissensfreiheit

Von Alois Sustar in: Gewissensfreiheit

"... Nur der Mensch, der ein echtes, richtiges, sicheres, mit einem Wort, ein mündiges Gewissen hat, kann die Gewissensfreiheit für sich voll in Anspruch nehmen. Wann ist man so weit? Wer kann von sich behaupten, sein Gewissen sei so entfaltet und gebildet, daß es seine Aufgabe ganz erfüllen kann?

Weder das gewöhnliche Glied der Kirchengemeinschaft noch irgendeiner ihrer Diener! Die Gewissensanlage und das Urgewissen im Sinne der Ausrichtung des Menschen auf das Gute, der Unterscheidungsfähigkeit zwischen Gut und Bös und des Bewußtseins der Verpflichtung, das Gute zu tun und das Böse zu meiden, sind zwar jedem Menschen mit seiner geistigen Natur mitgegeben. Aber dieses Gewissen muß entfaltet werden. Es muß vom Menschen selber, von anderen und von der Gemeinschaft gebildet werden.

Durch verschiedene Einflüsse kann es auch verbildet werden. Es kann auch unterentwickelt bleiben oder sogar verkümmern bis zur sittlichen Abgestumpftheit und Unempfindlichkeit.

Da wir heute oft einen Zusammenbruch der tragenden sittlichen Umwelt in Familie und Öffentlichkeit erleben und zugleich die Relativierung der sittlichen Werte und Normen, ist das Gewissen besonderen Gefahren ausgesetzt.

Die Demokratisierung der Gesellschaft, die Gleichstellung aller, das Bestreben, nach Mehrheitsbeschlüssen zu entscheiden und die Entscheidung durch Kompromisse zu finden, die Diktatur des Durchschnittes und der Statistiken bedeuten ernste Bedrohungen des Gewissens.

Falschverstandene Toleranz und Neutralität, in der es keine klaren allgemeinverbindlichen Gebote mehr gibt, können das Gewissen und den Menschen bei der Gewissensbildung irreleiten. Dazu kommt noch so manche Unsicherheit auf dem sittlichen Gebiet, das ständige Experimentieren in vielen Bereichen, zahlreiche Änderungen auf allen möglichen Gebieten. 

Andererseits ist das Gewissen viel stärker allen möglichen Einflüssen ausgesetzt als früher. Wenn auch der moralische Druck und der physische Zwang heute seltener geworden sind, kann man kaum behaupten, daß der Mensch in der Welt der Propaganda, der Reklame und der Kommunikationsmittel mehr Raum hat für seine Gewissensentscheidung als in der Vergangenheit.

Der Christ weiß dazu aus dem Glauben wie auch aus der Erfahrung, um die Belastung durch seine Mangelhaftigkeit und Sündhaftigkeit, von denen er sich nie völlig frei machen kann.

Gerade im Gewissen, wo sich die Person am stärksten einsetzt, wo der Mensch als endlicher Geist, der auf das Unendliche hin angelegt ist, letztgültige Entscheidungen treffen kann und soll, von denen sein Heil und sein Unheil abhängen, kommt ihm die Möglichkeit und die Tatsache des Mißbrauches der Freiheit besonders schmerzlich zum Bewußtsein.

Die Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute beklagt den Mißbrauch der Freiheit unter dem Einfluß des Bösen. "Der Mensch erfährt, wenn er auf sein Herz schaut, daß er zum Bösen geneigt ist, verstrickt in vielfältige Übel, die nicht von seinem guten Schöpfer kommen können... Der Mensch ist in sich selber zwiespältig... Er findet sich unfähig, sich von der Macht des Bösen selber zu befreien" (Nr. 13).

Die Gewissensbildung als Weg zur Gewissensfreiheit ist deshalb eine der wichtigsten Aufgaben des einzelnen an sich selber und eine der wichtigsten Hilfen, die man einander zu leisten hat."


aus: Theologische Meditationen; Alois Sustar, Gewissensfreiheit Benziger Verlag, AD 1967

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(Hervorhebungen durch Fettdruck von Admin)

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