Dienstag, 10. Januar 2012

Der "Mythos vom modernen Menschen"

Laokoon-Gruppe; Vat. Museen; Foto: Sailko
" Das erste Element dieses "Mythos" besteht in der Auffassung, daß alle heute lebenden Menschen sich geändert hätten im Vergleich etwa zum Menschen des Mittelalters oder dem des 19. Jahrhunderts, und zwar so, daß diese Veränderung ihre grundlegenden Überzeugungen betreffe, ja, die Grundelemente ihrer menschlichen Natur.

Nun aber kann diese Auffassung in jeder Hinsicht als eine reine Konstruktion entlarvt werden. Die menschliche Natur hat sich nicht wesentlich verändert: die Menschen sterben immer noch; sie sind immer noch entweder gut oder böse; die Quellen ihres Glücks: Liebe, Ehe, Kinder und letztlich und vor allem Gott sind durchaus die gleichen wie zu allen Zeiten; die Menschen sind heute genauso der Erlösung bedürftig wie früher.

Auch ihre grundlegenden Überzeugungen haben sich im ganzen nicht geändert. Offenkundig gibt es heute sowohl Theisten wie Atheisten und Pantheisten; es gibt sowohl Materialisten wie Denker, die an der Geistigkeit der Person festhalten; es gibt Vertreter des Relativismus und des Realismus - nicht anders, als schon zu Platos Zeiten.

Und weiter: es gibt unvergleichlich mehr entscheidende Ähnlichkeiten zwischen den Heiligen des Mittelalters und den Heiligen unserer Zeit als zwischen den Heiligen des Mittelalters und den Verbrechern oder Pharisäern der gleichen Zeit. Ebenso stehen diejenigen, die im Mittelalter an Gott glaubten, denen, die heute an Gott glauben, unvergleichlich näher als den Atheisten ihrer eigenen Zeit.

Wir sehen also, daß nicht nur die wesentlichen Unterschiede, sondern auch die grundlegenden Übereinstimmungen zwischen den Menschen aller Zeitalter überdauern. Und die Meinung, daß so etwas wie ein "moderner Mensch" existiert, der in seinen Überzeugungen völlig verschieden von den Menschen anderer Epochen wäre, ist einfach unbegründet und falsch."

(Fortsetzung folgt hier)

aus: Reihe Christentum 1, Josef Seifert: Die Grundlage jeder Erneuerung: der Glaube; (urspr. in "FELS", Jg. 1976, Nr. 1 / 2 ); Hrsg. Engelbert Recktenwald (s. Kath-info)


Über den Philosophen Josef Seifert (geb. 1945) bei wikipedia (bitte HIER klicken!)

2 Kommentare:

  1. Ein anderer häufiger Fehler ist die Meinung der heutigen Menschen, das Glück ihrer Vorfahren an ihren Indikatoren füpr Glück zu messen.
    Hierzu Jakob Burkhard:
    "Unser Urteil über das Glück vergangener Epochen ist etwa soviel wert, als wenn abendlicher Rauch aus einer fernen Hütte in uns die Vorstellungen von der Innigkeit zwischen den dort Wohnenden weckt"

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  2. @MC
    Interessanter Gedanke.
    Und so verhält es sich wohl auch mit der Einschätzung von Unglück...

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