Samstag, 1. Juni 2013

Gebet: Besser Qualität statt Quantität?

P. Bernward Deneke FSSP, Wigratzbad 

„Lieber ein einziges andächtiges Vaterunser als diese Massen von Gebeten! Qualität statt Quantität!“ Nicht selten bekommen fromme Beter solches zu hören. Gerne führt man ihnen gegenüber dabei auch Worte Jesu an, so die Rede von den „Anbetern im Geist und in der Wahrheit (Joh 4,23) und die Passage aus der Bergpredigt: „Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie würden erhört um ihrer vielen Worte willen. Macht es ihnen nicht gleich. Euer Vater weiß ja, wessen ihr bedürft, noch ehe ihr Ihn bittet.“ (Mt 6,7f) 

Manche betrachten derartige Hinweise als eine Versuchung gegen ihren Gebetseifer und weisen sie darum entschieden ab. Andere lassen sich dadurch sehr wohl verunsichern. Vor ihrem geistigen Auge erstehen vielleicht zweierlei Beter: der eine, der seelenlos Rosenkranz an Rosenkranz reiht oder Stapel von Gebetszettelchen abarbeitet; und der andere, der sich, frei von dem Druck zu verrichtender Leistung, vor Gott begibt, still und friedlich wird, sich einige Zeit gleichsam von der Sonne der Gnade bescheinen lässt und dann, ohne jegliche Hast, langsam und jedes der heiligen Worte nach Möglichkeit ausschöpfend, beginnt: „Vater unser im Himmel...“, um mit dem abschließenden „Amen“ auch tatsächlich zum Ende zu kommen. 

Welchem gläubigen und um Verinnerlichung bemühten Christen wird die Wahl angesichts dieser Alternative noch schwerfallen? Angelus Silesius sagt doch so schön: „Mensch, werde wesentlich“, und folglich sollte auch unser Gebet wesentlich sein. Demnach: kein leeres Geplapper, keine geistlos dahingesagten und wiederholten Worte, stattdessen viel lieber ein einziges andächtiges Vaterunser! „Überwindung des religiösen Materialismus durch echte Spiritualität“, könnte die Losung der Stunde lauten. Und wenn sich unter der Macht von Tradition und Gewohnheit ein anderer Gebrauch eingebürgert hat, so muss er eben von nun an der höheren Einsicht weichen. - 

Das mag überzeugend klingen. Aber entspricht es denn auch der Wahrheit? Erinnern wir uns zunächst daran, dass Gott bereits in Seiner Schöpfung alles nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet hat (Weish 11,20). Die materielle und quantitative Dimension kann demnach nicht verachtenswert sein. Auch im geistlichen Bereich hat Er eine solche Ordnung begründet. Denken wir nur an die sehr genauen göttlichen Vorschriften für die Opferriten und die Gebräuche an heiligen Tagen im Alten Bund, besonders jedoch an die 150 Psalmen, welche die Kirche in ihrer Vollzahl übernommen und in ihrer liturgischen Überlieferung (bis zu den Kürzungen in den 1960er Jahren) allwöchentlich gebetet hat. 

Von den 150 Psalmen leiten sich bekanntlich die 150 Ave Maria des Rosenkranz-Psalters ab.

Besonders dieses Gebet ist ein hervorragendes Beispiel dafür, dass Quantität nicht gegen Qualität stehen muss. Ohne Zweifel kann man den Rosenkranz gedankenlos herunterleiern. Richtig verstanden aber will er uns gerade durch die ruhige Wiederholung der Worte in die Betrachtung der Erlösungsgeheimnisse hineinführen. Die „Materie“ der Gebete soll also durch den gläubigen, hoffenden und liebenden Geist durchdrungen und beseelt werden. Der Beter setzt dabei nicht, wie es in der Bergpredigt gerügt wird, sein Vertrauen auf die vielen Worte. Er bedient sich ihrer vielmehr, um so einen innigen Anschluss an Jesus Christus zu finden, wobei die festgelegte Anzahl der Ave Maria ihm einen zeitlichen Rahmen und Halt bietet und ihn gerade dadurch davon befreit, sich Gedanken über deren Menge machen zu müssen. 

Aber auch wenn man von dieser sozusagen vergeistigenden Bedeutung langer Wiederholungen absieht, leuchtet es ein, dass eine gewisse Quantität zum Gebet gehört, da wir nun einmal Menschen sind, Geschöpfe also, deren irdisches Dasein sich in der Zeit abspielt. Es ist unsere Aufgabe, die Zeit unseres Lebens zu heiligen. Wie könnte das wohl besser geschehen, als indem wir Gott nicht nur geringe, sondern auch größere Abschnitte dieser Zeit schenken? Und weil wir Ihn dabei auf vielfältige Weise verherrlichen wollen, indem wir unser Lob, unseren Dank und unsere zahlreichen Anliegen vor Ihm zum Ausdruck bringen: Weshalb sollten wir dabei in einer Wortkargheit verharren und nicht die reichen Schätze kostbarer Gebete, die sich im Schatz der Kirche über die Jahrtausende hin angesammelt haben, zumindest einbeziehen? 

Nein, Quantität und Qualität bilden keinen Widerspruch. Gewiss müssen wir uns vor dem leeren Heidengeplapper hüten. Wer aber in lebendigem Glauben und mit liebendem Herzen viele und lange Gebete verrichtet, der darf mit Fug und Recht ein „Anbeter in Geist und Wahrheit“ genannt werden.



Hinweise:
- mit freundlicher Genehmigung des Verfassers
- der Beitrag erschien bereits im Schweizerischen Katholischen Sonntagsblatt (SKS)



U. a. zum gleichen Thema und weitere Überlegungen zu Einwänden gegen das Rosenkranzgebet hier das persönliche Zeugnis eines sehr geschätzten Mitbloggers:
 


Bild: Kloster Mehrerau, Bregenz, Vorarlberg; Collegiumskapelle; Dekorationsmalerei von Viktor Metzger, figurale Gemälde von Franz Xaver Kolb, 1887: Detail der Decke: Übergabe des Rosenkranzes an den hl. Dominik und die hl. Katharina von Siena; wikimedia commons

6 Kommentare:

  1. So weit, so gut ... allerdings scheint mir ein Problem nicht beachtet: daß mitunter auch die Meinung vorherrscht, man müsse jetzt noch dieses oder jenes beten (und "dieses oder jenes" kann sich sehr schnell summieren), weil womöglich der Schutzengel sauer werden könnte, bliebe er unbedacht, oder Maria traurig, wendete man sich jetzt nicht auch noch an sie. Ich kannte eine Frau, die hat in diesem Stil ihre Gebetszettel "abgearbeitet", wobei das Gebet als eine Art Arbeitspensum empfunden wurde ... das kann rasch in eine falsche Haltung führen, denke ich.

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  2. Wozu dient das Beten?

    Zum Lobpreis Gottes
    Zum Danken
    Zum Bitten

    Beim Bitten um etwas besteht bei mir immer die Gefahr, in einen gewissen Fatalismus abzugleiten nach dem Motto: wozu soll ich bitten, Gott weiß was ich brauche und wann. Er wird mir alles was nötig ist zur rechten Zeit geben. Und so frage ich mich, soll ich trotzdem bitten oder alles Gott überlassen?

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    1. Vielen Dank, Kassandra, für Ihren Kommentar.
      In der Hl. Schrift wird immer wieder darauf hingewiesen, dass wir Gott auch "bitten" sollen um das, was uns (oder anderen) fehlt oder was wir ihnen Gutes wünschen. Man kann auch sagen, dass Gott von uns erwartet, dass wir ihn darum bitten.
      Gleichzeitig gilt, dass wir (zwar ohne Zweifel an der Erfüllung aber) so beten, wie Christus uns zu beten gelehrt hat:

      ... Dein Reich komme, Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden...

      Ich denke, in diesem Sinne ist es gut und richtig, auch das Bittgebet zu pflegen. Und auch die Hl. Messe ist ja (u.a.) ein BITT-Opfer. Es entspricht also wirklich dem Willen Gottes, dass wir ihn bitten, auch wenn er schon längst weiß, was wir brauchen...

      "Was ihr vom Vater erbitten werdet, das wird er euch in meinem Namen geben. (...) Bittet und ihr werdet empfangen, damit eure Freude vollkommen ist." (Joh 16,23.24)

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    2. Ganz recht, lieber Frischer Wind, bitten müssen wir; denn indem wir bitten, zeigen wir, daß wir anzunehmen bereit und willens sind. Daß wir fruchtbarer Boden sind, in den die wertvolle Saat nicht umsonst fallen wird. Daß wir überhaupt an Seine Macht, zu wirken, ernsthaft glauben. Dies zeigen wir und bezeugen es vor Gott, vor der Welt (im gemeinschaftlichen Bittgebet) und - vor allem - gegenüber uns selbst.

      Die Bitte auszusprechen, heißt darüber hinaus, sich einzugestehen, daß die eigenen Möglichkeiten doch sehr begrenzt sind. Der Mensch neigt zur Hybris; es ist heilsam, sich bewußt zu machen, daß nur Einer ist, der aus Machtvollkommenheit heraus handelt, und daß alle andere Macht "von oben gegeben", also von dieser einen und absoluten abgeleitet ist. Zudem macht sich der ernsthaft Bittende bewußt, daß die erbetene Hilfe eben keinen Automatismus darstellt; eine Vorstellung, die Gott auf die Rolle einer guten Fee reduziert, deren Aufgabe es ist, nach Belieben Wünsche zu erfüllen. Solche eingebildeten Automatismen erzeugen eine Erwartungshaltung, die selbst im Falle positiver Bestätigung ein Gefühl tief empfundener Dankbarkeit als unnötig erachtet, bei Ausbleiben derselben gar in Enttäuschung bis hin zum Einklagen vermeintlicher Ansprüche umschlägt. Ähnliche Mechanismen können wir ja auch im Zusammenhang mit langjährig geübten Praktiken der Entwicklungshilfe feststellen.

      Ein anderes Phänomen in diesem Zusammenhang läßt sich bei des Deutschen liebster Herzenssache, der Sorge um die Gesundheit, beobachten, wo sich im Zuge garantierter Behandlungs- und Umsorgungsleistungen (inzwischen freilich einschränkend: je nach Tarif) eine gewisse Chefarzt-Anspruchshaltung etabliert hat, die die eigenen Beschwerden als so gravierend erachtet, daß nur die allerhöchste Kompetenz damit befaßt werden kann. Der Betende, Bittende darf nicht erwarten, daß es Gott selbst ist, der zu seinen Gunsten in den Ablauf des Weltgeschehens interveniert. Er bedient sich stets der innerhalb der Schöpfung von ihm zu diesem Zwecke angelegten, hier Wirksamkeit entfaltenden Instrumente und Agenten. Es gilt daher, den Blick zu schärfen, um zu erkennen, auf welche Weise die Hilfe zuteil werden soll, damit sie auch angenommen und nicht etwa ignoriert oder gar hintertrieben werde. Die im Auftrage wirkenden Geschöpfe ordnen sich, vom Geist getrieben, in den Heilsplan ein. Theologisch interessant ist daher die Frage, ob man im Gebet nicht besser den Geist direkt anspreche. Zwar sind Geist, Sohn und Vater, obgleich drei Personen, doch nur Einer. Dennoch empfiehlt der Herr explizit, den Vater zu bitten, als ob dieser die heilswirkende Tätigkeit des Geistes erst autorisieren müßte. Der Hl. Geist - nicht mehr als ein Befehlsempfänger? Als einem an naturwissenschaftlichen Vorstellungen geschulten Menschen hilft mir ein (notwendigerweise unzureichendes) Analogon aus der Physik zu verstehen: Der Geist ist die Weise (der Mechanismus), in der sich die reine Energie (das absolute Potential - die Allmacht) in materieller Gestalt konkretisiert und durch die dieser innewohnenden Dynamik mit vorhandener Materie (Schöpfung) interagiert. Auch das Geheimnis der Menschwerdung des Gottessohnes kann so nachempfunden werden.

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    3. Vielen Dank, verehrter J. Volkmar, für die Ausführungen. Ich denke, daraus wird sehr deutlich, wie notwendig und unverzichtbar das Bittgebet für unser eigenes Verhältnis zu Gott und für die "Ökonomie" Gottes ist. So ist das Bittgebet einbezogen in den Plan der göttlichen Vorsehung.

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  3. Ja, lieber Pro Spe Salutis, da hast Du wohl recht.

    Allerdings glaube ich, dass ein solches Phänomen im Vergleich zu der Haltung wie sie P. Deneke oben beschreibt, nämlich eine gewisse Verachtung mancher (sogar kirchlicher) Kreise für Gläubige, die (regelmäßig) den Rosenkranz, Novenen und mehr beten, sehr sehr selten ist.

    Sollte das übermäßige Gebetspensum, zu dem man nicht verpflichtet ist, dazu führen, dass man skrupulös wird, also wenn man meint zu sündigen, wenn man es nicht "absolviert", dann bedarf das einer klugen Seelenführung eines Priesters. Aber wie gesagt ist das wohl nicht das Problem, das heute im Allgemeinen besteht.

    Heute, denke ich, haben wir eher mit einem gewissen Minimalismus zu kämpfen, der den Gläubigen dazu verführt, gewisse Gebete , z. B. eben den Rosenkranz, der dann noch dadurch in Misskredit gebracht wird, dass man suggeriert, er sei ein Gebet für intellektuell Minderbemittelte, aber auch Tisch, Morgen- und Abendgebet usw., also ein gewisses Maß an Gebeten überhaupt, zu unterlassen.

    Der hl. Paulus ermutigte die ersten Christen im Brief an die Thessalonicher (5,16.17): "Freut euch zu jeder Zeit! Betet ohne Unterlass!"

    Wenn nun z. B. alte Menschen, die ansonsten nicht mehr viel tun können, wirklich das Lobpreis-, Dank- und vor allem auch Fürbittgebet (z. B. für ihre Kinder, Enkel, Vor- und Nachfahren oder sonstige Bedürftige) pflegen - und das meinetwegen auch als "Arbeitspensum" betrachten - bitteschön, sollen sie dieses doch tun. Gibt es etwas Sinnvolleres als seine Zeit mit der Verherrlichung Gottes zu verbringen? Dazu sind wir eigentlich doch erschaffen worden. Das war ja immer auch der Sinn und Zweck der Orden und geistlichen Gemeinschaften - vor allem der kontemplativen - und ist es immer noch. Aber auch das wird ja inzwischen immer weniger verstanden und geschätzt. Was für ein Reichtum sind diese Menschen, die viel beten, für die Kirche, für uns alle...

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