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Montag, 16. Juni 2014

Prof. Georg May: Die andere Hierarchie - Teil 30: Die Aufgaben des Priesters

Prof. Dr. Georg May

Die andere Hierarchie


Teil 30


Verlag Franz Schmitt Siegburg AD 1997


Fortsetzung von hier

VI.  Tätigkeit

Weil viele Priester nicht mehr um ihre Stellung als Haupt und Hirt ihrer Gemeinde wissen, legen sie keinen Wert darauf, sich als solche zu erweisen.

Ohne Notwendigkeit haben sie sich bei vielen Angelegenheiten ihrer Zuständigkeit das Heft aus der Hand nehmen lassen. Aus Gutmütigkeit, Feigheit oder Schwäche haben sie zugesehen oder mitgemacht, wie das größte Heiligtum unserer Kirche durch Mätzchen und Spielereien verunstaltet wurde.

Es gibt in unserer Kirche Ansichten und Unternehmungen, die zu der Frage berechtigen, ob es sich noch um die Stiftung Jesu Christi oder um ein Tollhaus handelt. "Die Kirche wird nicht dadurch zur Volkskirche, dass sie den billigen Jakob macht. Sie zieht sich dadurch nur Verachtung zu" (38).

Man kommt um das Urteil nicht herum: Die Kirche ist unfähig geworden, in ihrem eigenen Innern Übereinstimmung über das Wesentliche und Unerlässliche ihes Glaubens herzustellen. Ein übergroßer Teil des Klerus trägt Mitverantwortung für diese Entwicklung. Er hat sie geduldet und gefördert.

Viele Priester sind aszetisch und spirituell auf einer niedrigen Stufe angelangt. Das pausenlose Reden im Gottesdienst lässt sie nicht mehr zu Innerlichkeit und Sammlung kommen, verhindert das persönliche Gespräch mit unserem Gott und Heiland. So werden sie geistlich ausgelaugt und ausgehöhlt.

Der Ausfall wesentlicher priesterlicher Tätigkeiten lässt so manchen Priester an Sinn und Nutzen seines Berufes zweifeln. Wer nicht mehr regelmäßig einer größeren Zahl von Gläubigen das Sakrament der Versöhnung spendet, verliert ein Stück seiner priesterlichen Identität. Er ist, wie man heute sagt, frustriert. Aus dem Unbefriedigtsein mit dem (verbleibenden) priesterlichen Tun kann es leicht zur Suche nach Ersatz-befriedigung kommen.

In der Verkündigung vieler Priester ist der Ernst des christlichen Lebens nicht mehr zu spüren. Sie machen den Menschen nicht mehr klar, dass es hierbei um Leben und Tod, um Zeit und Ewigkeit, um Himmel und Hölle geht. Sie wagen es nicht mehr, ihnen zu sagen, dass das Leben ein Kampf ist zwischen Gut und Böse, Gott und Satan.

In der Verkündigung dieser Priester ist fortwährend nur von angehehmen und harmlosen Gegenständen die Rede. Der Ruf zu Umkehr und Bekehrung ist kaum noch zu vernehmen. Viele Priester wollen sich nicht durch eine am Evangelium ausgerichtete eindeutige Vekündigung unbeliebt machen. Es ist die Eigenart schwacher Männer, dass es ihnen vor allem darauf ankommt, beliebt zu sein. Der Klerus ist freilich auch eingeschüchtert durch die Pressionen der Progressisten in fast jeder Gemeinde.

Der allergrößte Teil des Klerus weiß nicht mehr, was missionarische Seelsorge ist. Das Heer der Randchristen ruft nach Heimholung in die Gemeinden. Doch dies geschieht nicht. Wenn ich Priester auf die hohen Zahlen der Kirchenaustritte hinwies, bekam ich gewöhnlich achselzuckend zur Antwort: "Anderswo ist es auch so." An die Aufgabe, Abständige und Abgefallene zu Glauben und Kirche zurückzuholen, wagt sich kaum jemand.

Schluss (von § 7)

Das Priestertum der Kirche ist in einer lebensbedrohenden Krise. Das Hochkommen der anderen Hierarchie wäre nicht möglich gewesen ohne den Niedergang des Priestertums in unserer Kirche. Eine Elite geht niemals durch Angriffe von außen, sondern allein durch Fäulnis im Inneren zugrunde. "Die Stellung, welche der berechtigte Inhaber ungenützt lässt, nimmt sofort ein unberechtigter ein" (39). Die Schwäche des Priesterstandes war das Einfallstor für alle die Erscheinungen, die auch im pfarrlichen Bereich zum Aufbau einer neuen Hierarchie geführt haben.

Die Priester, die nicht mehr das Kreuzesopfer erneuern, sondern bloß das brüderliche Mahl halten, sie sind es, die der anderen Hierarchie zu Macht und Einfluß verholfen haben. Die Priester, die sich nicht mehr als Opferpriester, sondern bloß als Gemeindeleiter verstehen, sie sind es, die der anderen Hierarchie die Bahn geöffnet haben.


(38)  Robert Spaemann, in: Plettenberg, Die Saat geht auf 90
(39)  Albert Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands, 6. aufl., II, Berlin 1952, 511


Fortsetzung folgt


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