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Samstag, 27. Oktober 2012

Die eine und einzige Kirche (I)

Von P. Bernward Deneke FSSP, Wigratzbad

Grüner Katechismus oder Kuchenmodell?

Als Jugendlicher nahm ich an den Treffen einer katholischen Gruppe teil, die den Firmkurs fortsetzte. Wir besprachen unterschiedliche Themen, und nicht selten beauftragte der Leiter, ein kirchlich engagierter Student, einzelne Teilnehmer, die nächste Stunde vorzubereiten. Einmal sollte es um die Unterschiede zwischen katholischem und evangelischem Christentum gehen. Der einzige Nichtkatholik unserer Gruppe übernahm den protestantischen Part, mir fiel der katholische zu.

Bei dieser Zusammenkunft kam es durch mich zum Eklat, und das völlig unbeabsichtigt. Nachdem nämlich der evangelische Jugendliche etwas über Martin Luther und die Reformation, über die Bedeutung der Bibel und das protestantische Abendmahlsverständnis vorgetragen hatte, kam ich an die Reihe und las aus dem grünen Buch, das unser Religionslehrer am Gymnasium verwendete, folgende – hier gekürzt wiedergegebene – Passage vor, ohne auch nur zu erahnen, welche Reaktionen das hervorrufen sollte: 

„Christus hat nur eine einzige Kirche gegründet. (...) Darum gibt es nur eine wahre Kirche. Die wahre Kirche kann man an bestimmten Eigenschaften erkennen, die Christus ihr gegeben hat. (...) Nur die römisch-katholische Kirche hat diese vier Kennzeichen. (...) Die anderen christlichen Glaubensgemeinschaften haben diese vier Kennzeichen nicht. (...) Die Christen, die einer nichtkatholischen Glaubensgemeinschaft angehören, wissen zumeist nicht, dass die katholische Kirche ihre wahre Heimat ist. Sie haben nicht die volle Wahrheit und sind vielen Irrtümern ausgesetzt; auch müssen sie viele Gnaden entbehren. Aber Christus ist auch für sie gestorben, und die Kirche betet und opfert auch für sie. Darum können auch sie zur ewigen Seligkeit gelangen, wenn sie den Willen Gottes tun, so gut sie ihn erkennen.“ 

Auf diese Worte folgte zunächst betretenes Schweigen. Dann fragte mich der Gruppenleiter, ansonsten ein lustiger Geselle, in sehr strenger, ja scharfer Tonlage, wer mir das Buch gegeben habe. Die wahrheitsgemäße Antwort veranlasste ihn zu der Aussage, ich sollte mich vor meinem Religionslehrer hüten, der sei nicht mehr katholisch. Ich konnte darauf hinweisen, dass es sich doch immerhin um den „Katholischen Katechismus der Bistümer Deutschlands“ handle – jenes 1955 im Auftrag der Bischöfe erschienene Werk, das bei der älteren Generation schlicht „Grüner Katechismus“ hieß. 

Doch mein Argument rettete weder die Autorität der vorgelesenen Sätze noch das Ansehen meines hochverehrten Lehrers. Im Gegenteil! So könne und dürfe man das heute nicht mehr sehen. Das Konzil und die wichtigen Entwicklungen in seinem Gefolge würden hier völlig ignoriert. Dadurch werde dem Zusammenwachsen der getrennten Christen schwerer Schaden zugefügt. Die Kirche betrachte sich heute nicht mehr als exklusive Heilsinstitution, vielmehr sehe sie sich als ein Kuchenstück neben anderen, die auf Jesus Christus als die gemeinsame Mitte hinwiesen und als Segmente zusammen einen Kreis bildeten. Und so weiter. 

Schon damals leuchtete mir diese Auskunft nicht recht ein. Ich verstand es einfach nicht, wie ein amtlicher Katechismus, vor einigen Jahrzehnten noch Richtschnur für die Glaubenslehre, plötzlich völlig überholt und sogar gefährlich sein konnte. Auch vermochte ich nicht nachzuvollziehen, dass die Lehrunterschiede, die doch weiterhin bestehen, jetzt keine Bedeutung mehr haben sollten. Schwer vorstellbar jedenfalls, wie derart verschiedene Stücke einen einzigen Kuchen bilden können... 

Einige Zeit später hätte ich meine Fragen schon etwas genauer gestellt: Ist es denn gleichgültig, ob man sieben oder nur zwei Sakramente hat? Kann man über die Frage hinweggehen, ob Jesus im Altarsakrament wirklich gegenwärtig ist und ob es hierfür des Weihepriestertums bedarf? Wollte der Herr das Papsttum – oder wollte Er es nicht? Und wenn Er es wollte: Darf man es dann außer Acht lassen und so tun, als wäre die Stellung zu ihm beliebig und belanglos? Von noch tiefer liegenden interkonfessionellen Problemen ganz zu schweigen. 

Jahrzehnte sind seit dieser Jugenderfahrung vergangen, die Aktualität des Themas aber besteht weiterhin. Im Denken der meisten Katholiken unserer Regionen dürfte das Kuchenmodell die Lehre des Grünen Katechismus (und damit die der gesamten kirchlichen Tradition) längst verdrängt haben. Dabei ist die Frage, ob es sich bei der katholischen Kirche nur um eine unter anderen Verwirklichungen der Idee „Kirche Jesu Christi“ oder vielmehr um die von Ihm selbst gewollte und gestiftete, einzige Kirche handelt, keineswegs nebensächlich. Ihre Beantwortung hat Konsequenzen für die Kirche als Gesamtheit wie für das Selbstverständnis und das Leben des einzelnen Katholiken. Weil die Angelegenheit so wichtig ist, darf sie uns auch noch in einem weiteren „Standpunkt“ beschäftigen.


Hinweise:
- mit freundlicher Genehmigung des Verfassers
- der Beitrag erschien bereits im Schweizerischen Katholischen Sonntagsblatt (SKS)

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