Mittwoch, 16. Juli 2014

Kardinal Brandmüller schreibt offenen Brief an Eugenio Scalfari

Auf Anregung des unabhängigen katholischen Nachrichtenportals kath.net hat der emeritierte Kirchengeschichtler Walter Kardinal Brandmüller an Eugenio Scalfari einen offenen Brief gerichtet, mit dem er Stellung zu angeblichen (und umgehend vom Vatikan dementierten) Äußerungen von Papst Franziskus bezüglich des Zölibats bezieht, die Scalfari am 13. Juli 2014 veröffentlicht hatte. Papst Franziskus soll laut Scalfari behauptet haben, der Zölibat sei erst im 10. Jahrhundert entstanden, "900 Jahre nach dem Tod unseres Herrn". Es sei ihm ein Anliegen, so Brandmüller, ihm, Scalfari, den gegenwärtigen Stand der Forschung zur Kenntnis zu bringen.

So fasst Brandmüller in dem Brief an Scalfari die gesamte Geschichte des Klerikerzölibats zusammen und zeigt auf, wie sich aus apostolischer Tradition der Priesterzölibat herleitet und seit Aposteltagen bis heute von der Kirche hochgeschätzt und für die an der Sendung Christi Teilhabenden obligat ist.

Kardinal Brandmüller:
Da nun die Evangelien zwischen 40 und 70 p. C. entstanden sind, hätten ihre Verfasser sich selbst in schlechtes Licht gestellt, wenn sie Jesus Worte in den Mund gelegt hätten, denen ihr eigenes Leben nicht entsprochen hätte. Jesus verlangt also von jenen, denen er Anteil an seiner Sendung gibt, dass sie sich auch seine Lebensform zueigen machen. (...)
Die ursprüngliche Form des Zölibats bestand also darin, dass ein zum Priester bzw. Bischof Geweihter wohl das Familienleben, nicht aber die eheliche Gemeinschaft fortsetzte. Dem entsprach es, dass mit Vorzug ältere Männer geweiht wurden.

Dass dies alte, geheiligte, auf die Apostel zurückgehende Überlieferung war, bezeugen die Werke kirchlicher Schriftsteller wie Clemens von Alexandrien und der Nordafrikaner Tertullian, die um das Jahr 200 lebten. Davon abgesehen wird die Hochschätzung der Enthaltsamkeit durch die Christen insgesamt durch eine Reihe von erbaulichen Romanen über die Apostel bezeugt – es sind die sogenannten apokryphen Apostelakten, die noch im 2. Jahrhundert enstanden sind und weit verbreitet waren.

Die Geschichte zeige, so Kardinal Brandmüller, dass eine Infragestellung der Ehelosigkleit um des Himmelreiches willen und andere Zeichen des kirchlichen Niedergangs korrelierten:
Es ist bemerkenswert, dass Infragestellung und Missachtung des Zölibats in der Vergangenheit stets mit anderen Symptomen kirchlichen Verfalls Hand in Hand gegangen ist, während Zeiten religiöser Blüte und kulturellen Aufschwungs durch gewissenhafte Beobachtung des Zölibats gekennzeichnet waren. Aus dieser historischen Beobachtung die Konsequenzen für unsere gegenwärtige Krisensituation zu ziehen, ist nicht schwer.

Brandmüller geht dabei auch auf die Praxis der Ostkirchen ein, Priestern, die vor Empfang ihrer Weihe  geheiratet haben, die Fortführung der Ehe zu gestatten und auch auf die Ausnahmen der lateinischen (West-) Kirche, die um der Einheit willen und in Anbetracht des Glaubensweges der heimkehrenden Gläubigen zugelassen werden, so z. B. bei verheirateten protestantischen Pastoren oder anglikanischen Geistlichen, die zur katholischen Kirche konvertieren mit dem Wunsch, in den geistlichen Stand treten zu dürfen.

Brandmüller zum Entstehen der orthodoxen Praxis:
Dazu ist zunächst zu bemerken, dass gerade im Osten die apostolische Praxis des Enthaltsamkeitszölibats als verbindlich betont wurde. Erst auf dem Konzil von 691, dem sogenannten Quinisextum bzw. Trullanum, kam es unter dem Eindruck eines allgemeinen religiös-kulturellen und politischen Verfalls des byzantinischen Reiches zum Bruch mit der apostolischen Überlieferung. Das Konzil, das maßgeblich vom Kaiser bestimmt wurde, der mit der Gesetzgebung auf dem Konzil wieder geordnete Verhältnisse schaffen wollte, ist indes von den Päpsten nie anerkannt worden. Erst von da an datiert aber die genannte ostkirchliche Praxis.

Schließlich weist der Kardinal auf das Wesen des katholischen Priestertums hin, dem im Anspruch der Nachfolge Christi auch dessen Lebensform wesentlich ist:
Je deutlicher es gelehrt und verstanden wird, dass das Priestertum der Kirche nicht eine Dienstfunktion ist, die im Auftrag der Gemeinde ausgeübt wird, sondern darin besteht, dass der Priester kraft des Sakraments der Weihe „in persona Christi” lehrt, leitet und heiligt, dann wird neu verstanden, dass er auch die Lebensform Christi übernimmt. Ein so verstandenes und gelebtes Priestertum wird aufs Neue seine Anziehungskraft auf die Elite der Jugend erweisen.
Insgesamt dürfte die Katechese Brandmüllers über die Geschichte des Zölibats nicht nur für Eugenio Scalfari interessant sein... Der ganze Brief ist hier auf kath.net zu lesen.


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Wer es gerne etwas ausführlicher hat, dem sei die kleine Schrift empfohlen:



Alfons Maria Kardinal Stickler

Der Klerikerzölibat
Seine Entwicklungsgeschichte und seine theologischen Grundlagen
Kral Verlag Abensberg 1993
(Neuauflage 2012)


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Weiteres zu den neuen Behauptungen von Papstzitaten des Laizisten E. Scalfari am 13.07.2014:


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